Im demokratischen Gewand
Demokratie ist niemals ein garantiertes Ergebnis, das sich automatisch einstellt. Kann es gar nicht sein, denn sie ist davon abhängig, dass sich die Menschen einer Gesellschaft stets für sie einsetzen. Will sie stark sein, müssen wir entschieden gegen anti-demokratische Angriffe vorgehen. Warum das oft nicht gelingt, zeigt uns ein Blick in die USA.
Von Denise Puiuț
Die liberale repräsentative Demokratie ist ein Exportprodukt des US-amerikanischen Imperialismus. Durch sie war es möglich, nach der Wende den Kapitalismus in demokratischem Gewand weltweit zu verbreiten. Ganz gleich ob sie parlamentarisch oder präsidentiell organisiert ist, diese Form der Demokratie legt ihren Fokus vor allem auf freie und faire Wahlgänge, die sich alle paar Jahre wiederholen. Erst später, wenn überhaupt, wird Demokratie mit zivilgesellschaftlichem Engagement, Partizipation oder kritischer Bildung in Verbindung gebracht. Dabei ist es gerade für eine Demokratie besonders wichtig, dass Bürger*innen mitbestimmen und kritisch mitdenken, da sie für sich den Anspruch hat, alle Menschen (mit Staatsbürger*innenschaft) gleich zu behandeln und Minderheiten zu schützen. Schauen wir jedoch genauer hin, merken wir bald, dass die Praxis regelmäßig von der Theorie abweicht.
Am 6. Januar wurde das Capitol in Washington D.C. durch Faschist*innen gestürmt. Die Bilder zeigten einen Haufen von überwiegend Männer, die Trump-Banner, Südstaatenflaggen, Gadsden-Flaggen und Blue-Lives-Matter-Banner schwenkten sowie Neo-Nazi Symbole auf ihren Shirts trugen. Und obwohl es so offensichtlich war, war sich die liberale Presse in den USA nicht zu schade, die Demonstrierenden als Anarchist*innen zu bezeichnen – jahrzehntelange anti-kommunistische Propaganda at its best, selbst ein historischer Tag wie der 6. Januar reicht nicht aus, um die Menschen als das zu bezeichnen was sie sind, nämlich Faschist*innen. (Auf die Versuche vom Thema abzulenken, indem Beteiligte als psychisch krank abgetan oder gar Antifa-Aktivist*innen beschuldigt wurden, gehe ich gar nicht erst ein.)
Der Staat sieht die Gefahr nicht
Die Trump-Supporter (auch MAGA, Make America Great Again) dachten, sie nehmen an einem Umsturz teil. Die Reaktion der Exekutive zeigt aber deutlich, dass dem nicht so gewesen sein kann, denn obgleich die Polizei durchaus versuchte die Eindringlinge zurückzudrängen, verhielt sie sich ruhig und gemäßigt, gar kooperativ, deutete sie doch den Weg und machte sogar gemeinsame Selfies. (Es ist auch nicht zu vernachlässigen, dass 85% der Polizist*innen Trump bei der Wahl 2016 unterstützten.) Nein, eine Revolution war es nicht, denn eine Revolution ist eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse, so wie sie Kommunist*innen herbeiführen wollen, indem das Kapital abgeschafft wird (und am besten der Staat gleich mit) und das stand nicht auf der Tagesordnung der Trump-Supporter. Was diese sich wünschen, ist ihre gesellschaftliche Positionierung aufgrund ihrer weißen, männlichen Privilegien und die damit verbundene Macht nicht zu verlieren – und deswegen randalieren sie gegen ein politisches System, das in den letzten Jahren – trotz Trump – immer diverser geworden ist.
Warum um Himmels willen, wird sich ein halbwegs aufgeklärter Mensch dann fragen, stärken die liberalen Regierungen dann nicht soziale Bewegungen und antifaschistische Bildung, um die Zufriedenheit der Bevölkerung und den Erhalt des Lebens zu sichern, anstatt rechts-konservativen und faschistischen Bewegungen nachzugeben und mehr Raum zu geben? (Mehr Raum ist gut angesichts Trump, Bolsonaro, und ihresgleichen.) Der Grund liegt auf der Hand oder eben in der Tasche, denn es geht ums Geldbörserl. Die Rechte greift das Kapital nicht an, im Gegenteil – die, die am 6. Januar dabei waren, möchten zum Großbürgertum dazu gehören, wollen waschechte Kapitalist*innen werden, ihre Kleinunternehmen expandieren und zum Big Business aufsteigen. Die Linke hingegen möchte die Menschen in all ihren Lebensbereichen befreien und dafür müssen die Menschen vom Kapital befreit werden. Für den Staat also, der die Interessen des Kapitals und ihrer Inhaber*innen schützt, sind die paar Trump-Supporter, die in das Herzstück der US-amerikanischen Demokratie gewaltsam eindringen – immerhin sind vier Teilnehmer*innen an diesem vermeintlichen Coup gestorben – keine wirkliche Gefahr. Denn sie bedrohen nicht den Status Quo, sie wollen ihn intensivieren.
Black Lives Matter
Am 13. März 2020 starb Breonna Taylor in ihrem eigenen Haus, erschossen durch Polizeibeamte. Zwei Monate später am 25. Mai 2020 starb George Floyd qualvoll durch die Fixierung eines Polizisten. Diese Tat trat inmitten der gerade begonnenen Corona-Pandemie nationale und internationale Protestwellen los.
Die Polizei, das ist die Exekutivgewalt des Staates. Wie sie sich verhält, spiegelt ihre Positionierung gegenüber der Bevölkerung wieder. Während der friedlichen Black Lives Matter Proteste wurden allein am 1. Juni 2020 in Washington D.C. 194 Menschen festgenommen, nach dem Sturm auf das Capitol waren es lediglich 82 Festnahmen vor Ort. Das heißt, dass Faschist*innen in das Capitol spazieren können ohne ihr Gesicht zu verschleiern, aber wenn schwarze, bipoc Menschen und ihre Verbündeten gewaltfrei protestieren und eine moderne Sozialarbeit und umfassenden Polizeireform („defund the police“) fordern, werden sie dafür von Vermummten auf offener Straße gekidnapped. Sie erfahren nicht dieselben Konsequenzen für ihre Handlungen.
Der Unterschied ist nur, dass die einen sich gegen strukturellen Rassismus einsetzen, der ihr Leben bedroht, und die anderen eben diesen nicht aufgeben möchten, entweder weil sie echte Menschenfeinde sind oder weil sie ihre Privilegien in keinster Weise beschnitten sehen wollen. Die Putschisten wollen keinen Systemwandel, sondern das was eh schon besteht zur absoluten Norm erheben – und in Trump sehen sie die Person, die das bewerkstelligt. Laut Umfragen in der Mittwochnacht befürworteten 45% der Wähler*innen der Republikaner den Sturm aufs Capitol.
Wir schauen allzu gerne woanders hin, anstatt uns an unsere eigene Nase zu fassen. Auch in Europa erstarkt der reaktionäre rechte Rand, erst letztes Jahr wollten Nazis, wenn auch jämmerlich, den Reichstag in Berlin stürmen, und auch da war die Polizei unvorbereitet und überfordert. Die Verhältnisse in Europa mögen andere sein, es herrscht jedoch überall dieselbe Logik.
Titelbild: Kelly Lacy von Pexels
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