„Chapeau“ – ein zweimaliges tiefes Hutziehen
Leserbrief von Günter Annerl zu Walter Waiss’ Beitrag zum Welttag der Menschen mit Behinderungen
„Chapeau“ – ich ziehe zweimal meinen Hut. Zum Ersten vor der Leistung welche diese Menschen im und am Dienst von unseren Mitbürgern mit besonderen Bedürfnissen vollbringen, zum Zweiten meine Hochachtung für die klare Aufstellung, die fachlich fundierte und detaillierte Auflistung von Fehlleistungen und fragwürdigen Verordnungen, Probleme und Diversitäten im Pflegedienst.
Für mich stellt sich die Frage, wie es zu dieser prekären Situation kommen konnte.
Bei vielen Naturvölkern waren jene Menschen, die außerhalb der Norm standen mit einer besonderen Achtung umhegt, sie waren Günstlinge der Götter und ihr Anderssein eine Botschaft.
In diesem Zusammenhang hat für mich eine Tagebucheintragung von Ernst Jünger, datiert mit 12. März 1942 in Paris, eine besondere Bedeutung:
„ Es scheint, daß Armut, Krankheit und alle Übel auf ganz bestimmten Menschen ruhen, die sie gleich Pfeilern tragen, und zwar sind dies die schwächsten dieser Welt. Sie gleichen daher Kindern, die auch besonders zu schützen sind. Mit der Zerstörung dieser Pfeiler senkt sich die Last auf das Gewölbe ab. Die falschen Ökonomen zerschmettert dann der Sturz.“
Damit schließt sich für mich der Kreis zu unserer heutigen Gesellschaft. Auf der einen Seite haben wir eine wohlhabende, arrogante Schicht, deren Hedonismus und fehlende Bodenhaftung Kontakt zu diesen Menschen und deren Betreuern verweigert, weil dies ein Störfaktor in ihrer fragilen Wohlfühlblase ist.
Der andere Teil – und dies ist die Mehrheit – ist ein infantiles Gemenge, dem man durch jahrelange, politisch gewollte Indoktrination das Bewusstsein für dieses Thema aberzogen hat.
Ein Querdenker, dessen Name mir gerade nicht präsent ist, bezeichnet sie als „Peter Pan Gesellschaft“ Menschen, die den Alltagsanforderungen durchaus gerecht werden, jedoch nicht wirklich im Sinne von Reife erwachsen werden wollen. Sie genügen sich in ihrer Selbstzufriedenheit, ihr subtiler Egoismus, ihre spontane Selbstverwirklichung füllen ihre Existenz – gleich auf welcher Ebene – und damit schaffen sie sich den Kokon, der für diese „Anderswelt“ keinen Platz frei läßt.
Das Primat der Politik versagt hier in hohem Maße, weil auch sie ihre Prioritäten in anderen Bereichen zu realisieren suchen, somit das Gesamtbild der Gesellschaft in sich schlüssig geworden ist.
Die Covid-19-Pandemie stellt an uns alle hohe Forderungen, Walter Waiss hat dies in Bezug auf den Pflegedienst klar und deutlich formuliert.
Wir haben – schon vor Jahren – die Büchse der Pandora geöffnet und nebst allen Übels, das wir nun erfahren müssen, ist doch die Hoffnung geblieben und diese stirbt zuletzt. Ich glaube und hoffe, dass uns die Umstände zu einer anderen Sicht zwingen und es liegt an uns, dieses Menetekel nicht nur zu sehen, sondern es zu integrieren und mit unserem Leben zu erfüllen.
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Titelbild: Unsere Zeitung