25 Jahre Abkommen von Dayton
Das vor 25 Jahren unterzeichnete Abkommen von Dayton sollte die Konfliktparteien in Bosnien und Herzegowina befrieden. Hierfür wurde auch ein Verfassungsgericht installiert und teilweise mit ausländischen Richter_innen besetzt, um als Schiedsrichter in ethnopolitischen Konflikten zu dienen. Nun aber wäre es Zeit für einen demokratischen Verfassungskonvent.
von Tamara Ehs
Verfassungsgerichte dienen in Umbruchsituationen oft als Stabilisatoren, weil sie als Ausgliederungsort strittiger Fragen verfeindete Lager von der direkten Auseinandersetzung abhalten. Das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina ist die wohl stärkste staatliche Institution und wegen seiner Zusammensetzung eine Ausnahmeerscheinung. Bis heute kommen vier der neun Richter_innen aus der Föderation von Bosnien und Herzegowina, zwei aus der Republika Srpska, nach Ethnien heißt das: zwei Bosniak_innen, zwei Serb_innen und zwei Kroat_innen. Die übrigen drei Richter_innen sind keiner der Gruppen zuzuordnen, sondern werden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf fünf Jahre ernannt. Momentan stammen sie aus Deutschland, Nordmazedonien und der Republik Moldau.
Das Verfassungsgericht ist für Dispute im Rahmen der Verfassung, zwischen den Entitäten und dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina oder zwischen den Institutionen des Gesamtstaates zuständig. Über die ausländischen Richter_innen kann die internationale Gemeinschaft seit einem Vierteljahrhundert in die nationale Rechtsprechung eingreifen. Aufgabe der Richter_innen ist es, als rechtstaatliche Erzieher_innen in Hinblick auf Modernisierungsprozesse und mittlerweile auch mit der Zielsetzung eines EU-Beitritts zu dienen. Vor allem aber sollen sie faire, nicht-nationalistische Entscheidungen gewährleisten. Das Verfassungsgericht entschied unter anderem über Feiertage, Wappen, Städtenamen, auch über die Aufteilung des jugoslawischen Staatseigentums.
Wegweisend war stets die Grundsatzentscheidung über die verfassungsgebenden Völker aus dem Jahr 1998 (U-5/98). Darin hatten die Richter_innen zu entscheiden gehabt, wie das Dayton-Abkommen auszulegen sei: War ethnische Trennung oder die Wiederherstellung eines multiethnischen Staates das Friedensziel? Eine knappe 5:4-Mehrheit von drei internationalen und zwei bosniakischen Richter_innen urteilte für eine Stärkung der gesamtstaatlichen Institutionen und eine Wiederherstellung der multinationalen Gesellschaft. Die serbischen und kroatischen Richter_innen waren überstimmt. Aufgrund des Drucks der internationalen Gemeinschaft wurde die Wiederherstellung zwar akzeptiert, doch nicht alle Urteile finden tatsächlich politische Berücksichtigung. So droht etwa Milorad Dodik, ehemals Präsident der Republika Srpska und seit 2018 Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums, immer wieder mit Abspaltung, ignoriert Urteile des Verfassungsgerichts und will dessen Zusammensetzung ändern.
Die Frage, wie man als Gesellschaft eigentlich zusammenleben möchte, war mit dem Urteil U-5/98 also nur unbefriedigend beantwortet. Bis heute fehlt ein Verfassungskonvent, der diese Frage abschließend diskutieren würde. Valentin Inzko, Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, meint hingegen, man habe zu früh und zu abrupt auf lokale Verantwortung umgeschaltet, und hofft nun auf internationale Vorgaben der EU und der USA.
Österreich spielt dabei in der internationalen Gemeinschaft seit jeher eine Hauptrolle: Der Steirer Joseph Marko war einer der drei ersten internationalen Richter am Verfassungsgericht, Valentin Inzko ist nach Wolfgang Petritsch (1999-2002) bereits der zweite Österreicher als Hoher Repräsentant; auch das Amt des Sonderbeauftragten und Botschafters der EU in Bosnien und Herzegowina ist seit 2019 mit einem Österreicher, Johann Sattler, besetzt. Nicht zuletzt stellt Österreich die meisten Soldat_innen für die EUFOR/ALTHEA -Friedenstruppe.
Möchte die österreichische Außenpolitik, die bekanntlich Südosteuropa zum Schwerpunkt hat, zum 25. Jubiläum des Daytoner Abkommens einen demokratischen Verfassungsprozess anstoßen, der auch als Mittel der Vergangenheitsbewältigung verhandelt, wie Bosnien und Herzegowina in Zukunft auch ohne internationale Präsenz funktioniert?
Tamara Ehs ist Wissensarbeiterin für Demokratie und politische Bildung. Dabei berät sie auch Städte und Gemeinden in partizipativen und konsultativen Prozessen. Sie ist Trägerin des Wissenschaftspreises des österreichischen Parlaments. Soeben ist ihr neuestes Buch „Krisendemokratie“ (Wien: Mandelbaum Verlag 2020) erschienen.
Titelbild: Stefano Ferrario auf Pixabay
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