Trumps Covid-19 Infektion: Schadenfreude als Ersatzreaktion für das Stellen wichtiger Fragen
Ähnlich wie im Fall von Bolsonaro, Johnson und Co. bietet die Tatsache, dass Trump an Covid-19 erkrankt ist, derzeit allerlei Anlass zum Spott. Aber ist das die richtige Reaktion für ein links-progressives Programm?
Von Florian
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Tatsache, dass Trump nun höchst persönlich an Covid-19 erkrankt ist, eine gewisse Ironie impliziert. Der Spott und die Scherze darüber, dass Trump zur Risikogruppe gehört und sich nun mit dem Coronavirus infiziert hat, lässt sich vor allem auf den Umstand zurückführen, dass Trump es sich gewissermaßen zum Hobby gemacht hat das Virus im Hinblick auf sein Gefahrenpotenzial zu verharmlosen.
Geht man von der Prämisse aus, dass Trump sich tatsächlich infiziert hat – und nicht wie gewohnt kreativ mit dem Ideal der Wahrheit verfährt, um weitere furchterregende Wahlkampfdebatten zu vermeiden – stellt sich an dieser Stelle vor allem folgende Frage: Welche Schlüsse lassen sich aus den Umstand, dass Trump sich infiziert hat, ziehen? Die Antwort ist zunächst relativ simpel: der eindeutigste Schluss ist zunächst, dass das Virus niemanden schont, nicht einmal Menschen wie Trump, welche das Virus am laufenden Band verharmlosen.
Die Komplexitätsreduktion des Viralen
Gewissermaßen stellt das Virus die Verkörperung des Realen dar, welches in die Welt des Ideellen eindringt. Alle aufgeheizten Debatten rund um die Cancel Culture, eine ökonomisch gerechte Verteilung usw. werden nun durch die Tatsache, dass Trump sich mit dem Virus infiziert hat, zumindest temporär außer Kraft gesetzt.
Anhand der Tatsache, dass sich Trump mit dem Virus infiziert hat wird deutlich, dass das Virus dazu in der Lage ist, die Komplexitäten, welche das menschliche Dasein auszeichnen, mit einem Schlag zunichte zu machen. Dies scheint umso eindrücklicher vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Viren an sich durch eine nicht zu leugnende Form der Simplizität gekennzeichnet sind, geschweige denn überhaupt als Lebewesen gekennzeichnet werden können.
Das Virus und sein egalitärer Grundcharakter
Zudem scheint gerade eben durch die Simplizität des Virus selbst sein egalitärer Grundcharakter deutlich zu werden. John Rawls geht in seinem 1971 veröffentlichten Werk Eine Theorie der Gerechtigkeit von einem Gesellschaftsvertrag aus, welcher im Urzustand von verschiedensten Individuen geschlossen wird. Die Intention von dem von Rawls theoretisch konstruierten Gesellschaftsvertrag ist, dass dieser das größtmögliche Maß an Freiheit und Gleichheit für alle Menschen ermöglichen soll. Damit dies gewährleistet werden kann, fügt Rawls hinzu, dass ebenjener Gesellschafsvertrag vor dem Hintergrund eines sogenannten „Schleier des Nichtwissens“ geschlossen wird, welcher blind gegenüber den sozialen und natürlichen Unterschieden, welche zwischen den einzelnen Individuen vorherrschen, ist.
Ist ein ähnlicher „Schleicher des Nichtwissens“ nicht auch bei dem Covid-19 Virus vorhanden? Ungeachtet seiner nahezu vulgär anmutenden Simplizität, seiner Negation jeglicher epistemischen Eigenschaften, schert sich das Virus nicht darum wer wir sind. Ein Virus ist ebenfalls eine relativ egalitär agierende Entität – von einem Lebewesen kann man nicht einmal sprechen. Frei von jeglicher Form der semantischen Kategorienzuweisung sucht sich das Virus seinen jeweiligen Wirt aus – unabhängig von seinem sozialen Status, seinen natürlichen Gaben, seiner Intelligenz, seinen Vorstellungen von einem guten Leben, seinen psychologischen Dispositionen, geschweige denn von seiner wirtschaftlichen oder politischen Lage.
Mehr Sein als Schein?
Gewissermaßen droht das Virus zudem Trumps selbst konstruiertes Bild des starken Mannes zu zerstören. Gemäß einer allgemein akzeptierten Binsenweisheit pflegt man zu behaupten, dass Menschen wie Trump sich durch mehr Schein als Sein charakterisieren. Dies wird im Fall Trump besonders daran deutlich, dass er sich als den allseits kompetenten, starken und ehrlichen Präsidenten gibt, während seine Aussagen durch die Realität jedoch fortwährend widerlegt werden.
Aber ist es nicht sogar möglich, dass eben jener Schein, welchen Trump im Laufe der Zeit aufgebaut hat die Essenz seines Seins charakterisiert? Kann man nicht davon ausgehen, dass eben jene Scheinhaftigkeit für das Sein Trumps steht? Ist es nicht gut möglich, dass hinter all den Lügen und den Widersprüchlichkeiten, welche Trumps öffentliches politisches Handeln charakterisieren, nichts Tiefergreifendes vorhanden ist?
Friedrich Nietzsche hat bereits treffend angemerkt, wie der Schein selbst zum Sein werden kann:
Wenn einer sehr lange und hartnäckig etwas scheinen will, so wird es ihm zuletzt schwer, etwas anderes zu sein. Der Beruf fast jedes Menschen, sogar der des Künstlers, beginnt mit Heuchelei, mit einem Nachmachen von außen her, mit einem Kopieren des Wirkungsvollen. Der, welcher immer die Maske freundlicher Mienen trägt, muß zuletzt eine Gewalt über wohlwollende Stimmungen bekommen, ohne welche der Ausdruck der Freundlichkeit nicht zu erzwingen ist, – und zuletzt wieder bekommen diese über ihn Gewalt, er ist wohlwollend (Nietzsche 2006: 64).
Die Gewalt, welche Trump über die von ihm selbst konstruierten Narrative erzwingen musste, war letztendlich notwendig, um das Image, das er seinen Wählerinnen und Wählern vermitteln will, aufrecht zu erhalten. Die mühevolle Konstruktion des eigenen Scheins hat im Fall Trumps letztendlich die paradoxe Wendung genommen, dass sein ganzes Sein durch die Transparenz des Scheins geprägt ist. Nicht umsonst zählen Journalistinnen und Journalisten die Zahl an Lügen, durch welche Trump regelmäßig in den Medien auffällt.
Von einer ähnlichen Dynamik wie die Corona-Infektionszahlen sind auch Trumps Statements im Hinblick auf das Gefahrenpotenzial des Virus. Ob er sich dabei selbst widerspricht, ist für Trump stets zweitrangig, da der – wenn auch nur temporäre – Schein konstitutiv für die jeweils geoforderten Bedingungen ist, welche die jeweilige politische Lage erfordert.
An dieser Stelle stellt sich die Frage, was Trumps Infektion nun für Implikationen im Hinblick auf den von ihm konstruierten Schein hat. Folgt man den zuvor dargestellten Gedanken Nietzsches, so könnte das Virus dafür sorgen die Scheinhaftigkeit Trumps offenzulegen. Aber wussten wir nicht schon zuvor von Trumps Scheinhaftigkeit? Braucht es dafür wirklich die Kraft des Faktischen in Form einer Infektion mit dem Virus?
Da diese Frage eine äußerst tiefgreifende Erörterung fordert, möchte ich im Folgenden auf einen anderen Punkt eingehen, welche sich dennoch nicht komplett separat von den zuvor angeführten Erwägungen betrachten lässt.
Die Kommentare in den Medien lassen, zumindest teilweise, deutlich werden, dass viele Menschen die Infektion Trumps mit Spott betrachten. Endlich wird die Scheinhaftigkeit Trumps offengelegt! Der starke Mann gehört zur Risikogruppe und ist nun plötzlich nicht mehr so stark! Dass diese Form der Schadenfreude nicht nur verwerflich, sondern sogar äußert kontraproduktiv ist, scheint vielen nicht in den Sinn zu kommen.
Schadenfreude als die Verschleierung des Wesentlichen
Zunächst sei jedoch klarzustellen, dass Schadenfreude zunächst eine äußert menschliche Eigenschaft ist. Das humoristische Element, welches der Schadenfreude inhärent ist, lässt sich gerade im Hinblick auf Trumps Infektion am ehesten mit der sogenannten Relief-Theory beschreiben. Nach dieser Theorie kann man das Prinzip der Schadenfreude als eine Form der komischen Entlastung betrachten. Somit bietet Trumps Infektion für viele Menschen derzeit eine komische Entlastung von den durch seine Politik in den letzten Monaten verursachten Sorgen.
Der Philosoph Joachim Ritter verleiht dem Phänomen des Humors – und damit auch gewissermaßen dem Phänomen der Schadenfreude – einen noch tiefer greifenden Sinn, indem er behauptet, dass die Funktion des Humors primär darin besteht, das Unwesentliche aufzuheben. Das Unwesentliche lässt sich laut Ritter als das Gegenteil vom Wesentlichen begreifen und bezeichnet damit all die Gedanken, Träume, Wünsche, Neigungen und Vorstellungen, welche, ebenso wie das Wesentliche, zum Dasein des Menschen dazugehören, aber durch den Ernst zur Nichtigkeit des Daseins ausgegrenzt und damit zum Unwesentlichen verbannt werden (vgl. Lützeler 1954: 66-67).
Die von Schadenfreude geprägten Reaktionen lassen sich als das von Ritter definierte Unwesentliche begreifen, da sie maßgeblich für die geheimen Wünsche all der Menschen stehen, welche Trumps Politik im Allgemeinen, und seine Corona-Politik im Besonderen, mit zunehmender Besorgnis betrachtet haben. Die spöttischen Reaktionen im Hinblick auf Trumps Infektion stehen also symbolisch für die unbewussten Wünsche des Unwesentlichen. Hier wird bereits deutlich, warum Schadenfreude – gerade für eine starke linksprogressive Politik – keine angemessene Reaktion im Hinblick auf Trumps Infektion darstellt. Das Unwesentliche kann oftmals lediglich eine durch das Unterbewusste verursachte Ablenkung vom Wesentlichen sein.
Die unbequeme Konfrontation mit der Systemfrage
Eine starke links-progressive Politik sollte jedoch gerade im Hinblick auf das Phänomen Trump nicht scheuen das Wesentliche im Auge zu behalten, welches sich vor allem durch die unbequeme Konfrontation mit der Systemfrage kennzeichnet. Wie ließe sich die Systemfrage im Hinblick auf den Fall Trump auf sinnbringende Art und Weise stellen? Zunächst sei klarzustellen, dass Trump als ein Phänomen eines tiefergreifenden Problems zu begreifen ist.
Statt zu fragen, wie Trump und seine Anhänger nur so vulgär und rassistisch sein können, sollten wir nach den kausalen Grundmechanismen fragen, welche Trump erst zur Macht verholfen haben. Dies mag ein provokantes Statement sein: Aber machen wir es uns nicht zu leicht wenn wir uns einfach nur über Trump lustig machen? Werden hierdurch nicht ohnehin schon starke gesellschaftliche Spaltungen unweigerlich weiter perpetuiert?
Die Schadenfreude gegenüber Trumps Infektion zeigt nicht nur, dass sich einige Gegner auf das Niveau Trumps herabzulassen bereit sind, sondern sie ist zudem nicht mehr als ein symbolischer Akt, welcher nichts an den bestehenden systemischen Rahmenbedingungen ändert. Die Konsequenz: Wir denken, dass wir zu den Guten gehören und reproduzieren das System im gleichen Augenblick in seiner ursprünglichen Form immer weiter.
Sollte Trump die Infektion gut überstehen, ist davon auszugehen, dass diese den von ihm konstruierten Schein bei seinen Wählern vermutlich eher stärken, statt schwächen wird. Trump ist kein Einzelfall, sondern das Phänomen eines tiefergreifenden Problems, welches in den Koordinaten des bestehenden Systems implementiert ist.
Im Hinblick auf die Reaktionen von Trumps Infektion macht Petra Bahr, Mitglied des Deutschen Ethikrates, eine treffende Anmerkung:
Man kann die Schadenfreude als solche identifizieren und sich dann entscheiden, ihr keinen Ausdruck zu verleihen, sondern sie als das nehmen, was sie ist: ein Reflex. Und zum Erwachsensein gehört ja auch Besinnung und Besonnenheit dazu. Es gibt ja auch unterschiedliche Arten, sich über Leute lustig zu machen. Das hat die Gesellschaft in den vergangenen Monaten intensiv diskutiert. Ich möchte mich jedenfalls nicht auf das Niveau dessen herabbegeben, der über Twitter Menschen demütigt, schlecht macht und sich über sie lustig macht. Schadenfreude lässt sich auch in etwas anderes, besseres verwandeln.
Bahr weist auf etwas hin, was gemäß aufklärerischen Denkens charakteristisch für das Menschsein selbst ist. Auch wenn Schadenfreude, gerade im Hinblick auf den Fall Trump, zunächst einmal nachvollziehbar ist, können wir uns dennoch Kraft unserer eigenen Autonomie gegen diese entscheiden, und uns den wirklich wichtigen Fragen zuwenden, welchen sich eine links-progressive Politik im gegenwärtigen Zeitalter stellen muss.
Quellen:
• Rawls, J. (2008). Eine Theorie der Gerechtigkeit (1. Aufl., [Nachdr.].). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
• Nietzsche, Friedrich. Menschliches, Allzumenschliches: Ein Buch Für Freie Geister. Sonderausgabe. Köln: Anaconda Verlag GmbH.
• Lützeler, H. (1954). Philosophie des Kölner Humors. Honnef/Rh: Peters.
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