Der Kampf um die Seife in Thessaloniki
Die Kooperative VIO.ME wurde zum Symbol der Hoffnung in Griechenland – Erster Teil der siebenteiligen Serie über selbstverwaltete Betriebe in Europa von Christian Kaserer
Arbeitende Menschen kennen das: Eine Person schafft an, viele buckeln. Ein gewöhnliches Arbeitsverhältnis zeigt sich uns in der Regel als ein Verhältnis zwischen Herr und Knecht. Es erscheint uns als das Gewöhnlichste der Welt und Alternativen wirken auf den ersten Blick zumeist naiv, unrealisierbar, eventuell gar utopisch. Wie könnte es auch anders sein? Wie kann ein Unternehmen funktionieren, wenn nicht eine Person entscheidet, sondern alle? Pures Chaos müsste doch ausbrechen, denn effizient kann so nicht gearbeitet werden. Die Suche nach demokratischen Alternativen allerdings beschäftigt zunehmend mehr Menschen und gerade in Krisenzeiten erleben Genossenschaften und andere kollektiv verwaltete, demokratische Organisationsmodelle ihre Hochkonjunktur. In dieser siebenteiligen Serie begeben wir uns auf die Suche nach real existierenden Beispielen und befragen Experten danach, wie eine Demokratisierung der Arbeitswelt erreicht werden kann, was sie mit den Menschen tut und welches Potenzial sie hat.
Die griechische Staatsschuldenkrise hat das Land bis heute, trotz gegenteiliger Beschwörungen von Seiten griechischer und europäischer Politiker, fest im Griff. Lebenshaltungskosten sind teuer, die Löhne niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch und rentable Betriebe gehören zumeist den Deutschen. Für die Griechen ist es auch Jahre nach dem Ausbruch der Krise immer noch eine desolate Zeit, ja eigentlich fast schon eine Zeit der Agonie.
Für manche Menschen allerdings bergen Krisen auch Chancen in sich. Es sind Zeiten, in denen Einfallsreichtum und Mut gefragt sind. Während die Zahl traditioneller Betriebe in Griechenland aufgrund der Pleiten stetig sank, stieg seit Ausbruch der Krise die Zahl selbstverwalteter Unternehmen. Es sind landwirtschaftliche Betriebe, Fabriken, Schulen und Zeitungen, in denen die arbeitenden Menschen kollektiv entscheiden und kollektiv besitzen. Der Profit geht dabei nicht an eine Person, während der Rest einen kleinen Anteil als Lohn erhält, sondern wird fair untereinander aufgeteilt und überdies zumeist so investiert, dass die Region ebenfalls davon profitiert. Griechenland ist mit über 8.000 solcher Initiativen zum Land der Kooperativen schlechthin geworden.
Die wohl berühmteste dieser Kooperativen ist VIO.ME in der Hafenstadt Thessaloniki. VIO.ME, das sind etwa zwei Dutzend Personen, die gemeinsam Seife herstellen, welche inzwischen in ganz Griechenland zum Symbol für Hoffnung in der Krise wurde.
Das war freilich nicht immer so. Bis 2011 wurde in der Fabrik am Stadtrand von Thessaloniki unter dem Namen Philkeram-Johnson beispielsweise Fliesenkleber produziert. Von einem Tag auf den nächsten allerdings standen die Arbeiter vor verschlossenen Toren und bekamen lediglich die flapsige Erklärung, dass man Pleite wäre und jeder für sich selbst sehen müsse, wie er weiterkomme. Das Unternehmen war bereits seit längerem in finanziellen Problemen gewesen und manche der Arbeiter hatten daher schon eineinhalb Jahre für dubiose Versprechen auf ihr Gehalt verzichtet und waren auf Unterstützung ihrer Familien, Freunde und Kollegen angewiesen. So sollte es nun allen gehen. Thessaloniki wurde von der Krise hart getroffen und so waren andere Jobs nicht in Sichtweite und für Philkeram-Johnson sollte es keine Rettung geben.
Trotz der für alle spürbaren prekären Lage, bildete sich für die entlassenen Menschen eine breite Solidaritätsbewegung in der Stadt und darüber hinaus und so entstand die Idee, die Fabrik zu besetzen und mit den dort befindlichen Maschinen Seife, ein Produkt das schließlich jeder brauchen kann, herzustellen. Die Argumentation schien logisch: Die Eigentümer hatten sich mit ihrem privaten Reichtum abgesetzt und sahen sich für Forderungen auf Zahlung der entgangenen Löhne nicht verantwortlich. Immerhin handelte es sich dabei um mehrere hunderttausende Euro, also weshalb nicht einfach die Fabrik besetzen, sie erneut beleben und somit zumindest eine kleine Summe verdienen, um überleben zu können?
VIO.ME war geboren und den Arbeitenden war klar, dass die bisherigen Strukturen der Entscheidungen von oben nach unten völlig überkommen waren. Sie wollte den Betrieb nun als Kollektiv, als Kooperative führen. Jeden Morgen treffen sich die Menschen von VIO.ME und besprechen, was am jeweiligen Tag anfallen wird. Dabei entscheiden sie gemeinsam und wenn möglich einstimmig. Bei etwas über zwanzig Personen kann dies durchaus kompliziert sein, doch versuchen sie, die diskutierten Themen von allen Seiten zu beleuchten und gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten, damit sich niemand zurückgelassen oder übersehen fühlt.
Eine Idee, die tatsächlich aufging. Nicht nur sind die Menschen von VIO.ME heute politisch und gesellschaftlich engagierte Personen und zum ersten Mal seit Jahren hoffnungsvoll und glücklich, ihre Seifen können nebst Griechenland überdies in ganz Europa käuflich erworben werden.
Doch in den Seifen steckt viel mehr als nur ein Hygieneprodukt einer kleinen selbstverwalteten Fabrik. VIO.ME hat es geschafft, durch ganz Griechenland Netzwerke zu ziehen und hilft im Aufbau weiterer Kooperativen. Selbst die Rohmaterialien werden inzwischen vollständig aus solchen Quellen bezogen und auch der Verkauf soll zunehmend auf Direktmärkten ohne Zwischenhändler stattfinden. Der Gewinn kommt dabei nicht nur den Leuten von VIO.ME selbst, sondern ganz Thessaloniki zugute. Ihre Seifen werden an Gefängnisse abgegeben, der Profit wird in eine Sozialklinik und eine selbstverwaltete Bäckerei für arme Menschen am Fabriksgelände investiert und auch Kooperativen-Festivals finden dort statt.
Aber freilich gibt es auch Personen, denen der Erfolg nicht gefällt. Die ursprüngliche Eigentümerfamilie versuchte bereits mehrfach, die Fabrik für mehrere Millionen Euro zu versteigern und entnahm auch ohne Skrupel einzelne Maschinen aus dem Gelände, um diese zu verkaufen. Mit Klagen und Räumungen wird VIO.ME seit seiner Existenz bedroht. Tag und Nacht wird daher die Fabrik von den Arbeitern bewacht. Die Syriza-Regierung etwa hatte VIO.ME Hilfe versprochen, jedoch keinen Finger gerührt und seit dem Regierungswechsel, werden die Daumenschrauben härter angezogen.
Mitten in der Coronakrise wurde VIO.ME die Stromzufuhrt gekappt, da sie laut Einschätzung der Regierung das Gelände illegal besetzen würden. Auch davon allerdings lässt man sich bei VIO.ME nicht abhalten: Seither hilft ein Dieselgenerator aus und die Produktion geht ungemindert weiter.
VIO.ME unterstützen – POWER 2 VIO.ME!
Dieser Artikel ist eine kurze Zusammenfassung des ersten Kapitels des Buches coop – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft von Christian Kaserer, erschienen am 27. Juli 2020 im Linzer guernica Verlag. ISBN 978-3-9504594-8-7, 9,90 Euro, 120 Seiten.
Alle Fotos: © Christian Kaserer
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Teilnahmeschluss ist der 15.09.2020. Die glücklichen Gewinner werden anschließend per Mail verständigt.
Termin-Aviso:
Dienstag, 15. September, 19 Uhr: Buchpräsentation im Cardjin-Haus in Linz (Kapuzinerstraße 49) in Kooperation mit dem guernica Verlag, weltumspannend arbeiten, u.a.