Fake News > Schlechte Luftqualität durch Autoverkehr nicht nachweisbar
Immer mehr Wissenschaftler treten offensiv gegen „alternative Fakten“ auf, die durch die Medien geistern. Jetzt nehmen deutsche Forscher Stellung zur Luftverschmutzung während des Corona-Lockdowns.
Von R. Manoutschehri
Auch Atmosphärenphysiker zeigen sich verärgert über die seit rund einem Monat kursierenden, politisch motivierten Falschauslegungen und medial verbreitete „alternative Fakten“ zum Corona-Lockdown und den Auswirkungen auf die Luftqualität.
Bis in den deutschen Bundestag hinein wurde kolportiert, dass eine schlechte Luftqualität durch Autoverkehr nicht nachweisbar und Diesel- und Fahrverbote, geschweige denn autofreie Innenstädte, somit angeblich nutzlos wären – bevorzugt von der „rechten Reichshälfte“.
In einem offenen Brief stellen Forscher des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung nun klar, dass dies erstens falsch wäre und es zweitens leider keine so einfachen „Antworten“ gäbe, da die Luftqualität vor Ort vielmehr immer aus der Kombination von Emissionen, chemischen Prozessen und Feinstaub-Transport resultiere und gerade Feinstaub besonders gefährlich für die Gesundheit sei.
Statt dringend nötige Reduktionsmaßnahmen zu vernachlässigen oder wegreden zu wollen, sei ganz im Gegenteil eine möglichst rasche und nachhaltige Verbesserung der Luftqualität anzustreben.
Das Statement von Hartmut Herrmann, Alfred Wiedensohler, Dominik van Pinxteren, Ulla Wandinger, Ina Tegen und Andreas Macke vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig:
Luftqualität – ein Mix aus Emissionen, chemischen Prozessen und Feinstaub
In den Medien werden intensiv Ergebnisse diskutiert, wonach ein Zusammenhang zwischen weniger Emissionen und besserer Luftqualität nicht gefunden worden sei. Es wurden Äußerungen getätigt, dass eine schlechte Luftqualität durch autoverkehrsbedingte Emissionen nicht nachweisbar sei und es sich um eine interessengelenkte Scheindiskussion handele – so zuletzt u.a. in einer Debatte im Deutschen Bundestag am 18. Juni 2020. An diesen Diskussionen haben sich nicht nur Lobbyverbände und politische Parteien beteiligt, sondern auch selbsternannte Experten.
Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) möchte hiermit aufgrund seiner wissenschaftlichen Expertise in der Chemie und Physik der Atmosphäre, der Fernerkundung und der Atmosphärenmodellierung zur Situation der Luftverschmutzung in Zeiten des SARS-CoV-2-Virus Stellung beziehen:
(1) Luftqualitätsprobleme in Deutschland, Europa und der Welt sind real und eine außerordentlich große Bedrohung für die Gesundheit der Menschen, die Intaktheit der Ökosysteme sowie für das Klima.
(2) Feinstaub und Stickoxide sind maßgebliche Komponenten der Luftverschmutzung in Deutschland. Der Verkehrssektor hat einen großen Anteil an der Emission dieser Luftschadstoffe sowohl über Abgase als direkte Motoremissionen als auch über Nicht-Motoremissionen wie Partikeln aus Brems- und Reifenabrieb.
(3) In den Zeiten des Corona-Lockdowns hat sich die Situation der lokalen Luftverschmutzung nicht überall direkt verbessert, weil sich verschiedene Effekte überlagert haben: Einerseits nahmen manche, jedoch nicht alle, Emissionen vor Ort durch den Lockdown ab. Andererseits brachte der atmosphärische Ferntransport gerade während des Lockdowns verschmutzte Luftmassen nach Deutschland.
Beispielsweise führten Wald- und Feldbrände in Osteuropa während der trocken-warmen Hochdruckwetterlage im März/April zum Eintrag von Rauchpartikeln nach Mitteleuropa. Ergebnis: Die lokale Reduktion der Emissionen wurde ausgeglichen oder sogar überkompensiert. Ferntransport kann sowohl zu höheren, aber auch zu niedrigeren Belastungen vor Ort führen. Ein Einfluss mariner oder arktischer, also sauberer Luftmassen kann die regionale Luftverschmutzung auch absenken.
Es ist zu beachten, dass bei der Beschreibung des Verhältnisses von Emissionen zu Immissionen immer meteorologische Einflüsse möglich sind, die bei Beurteilung der lokalen Luftqualität berücksichtigt werden. Regen, erhöhte Windgeschwindigkeit und starke vertikale Durchmischung tragen zur Verbesserung der Luftqualität bei. Umgekehrt können sich bei Trockenheit und austauscharmen Wetterlagen (bei einer niedrigen sog. Grenzschichthöhe) Partikel und Spurengase lokal mitunter deutlich anreichern. Dies war im Frühjahr 2020 der Fall.
So waren laut Aussage des Deutschen Wetterdienstes die Monate März und April 2020 in Deutschland aufgrund einer Hochdruckwetterlage im Vergleich zum langjährigen Mittel ausgesprochen trocken und sonnenscheinreich, was die Anreicherung von Luftschadstoffen begünstigte. Dasselbe Ausmaß an Emissionen pro Fläche kann somit je nach Wetterlage zu sehr verschiedenen Luftschadstoff-Konzentrationen vor Ort führen.
(4) Der Corona-Lockdown hat Emissionen aus manchen wichtigen Quellen wie z. B. dem Individualverkehr reduziert, andere aber nicht. Holzheizungen, Energieproduktion, Viehhaltung und Landwirtschaft, und hier insbesondere die Bearbeitung der stark ausgetrockneten Böden im Frühjahr, spielten weiterhin eine Rolle und trugen ebenfalls maßgeblich zur regionalen und lokalen Belastung bei.
(5) Trotz großer Fortschritte bei der Verbesserung der Luftqualität in Deutschland und der EU in den letzten 65 Jahren ist der Prozess der Verbesserung der Luftqualität bei weitem noch nicht abgeschlossen und ein erstrebenswerter Endzustand ist noch nicht erreicht.
(6) Deutschland hat eine führende Position bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung im Zusammenspiel von Wissenschaft, politischen Gremien und der Wirtschaft. Die Expertise Deutschlands bei der Luftreinhaltung und der Atmosphärenforschung insgesamt hat nicht nur einem international renommierten Wissenschaftszweig, sondern auch einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor (einschließlich vieler Arbeitsplätze in der Umwelttechnologie) etabliert.
(7) Um empfindliche Gruppen unserer Gesellschaft effektiv zu schützen, wurden einschneidende wirtschaftliche und politische Maßnahmen in der Corona-Krise getroffen. Für die Zeit nach der Corona-Krise sollte dringend überlegt werden, wie ein noch besserer Gesundheitsschutz der Bevölkerung erreicht werden kann. Diese Maßnahmen sollten ökonomisch und ökologisch ausgewogen sein, um als Modell für andere Teile der Welt dienen zu können.
Der Fachleute Fazit:
Reduzierte Emissionen während des COVID-19-Lockdowns müssen nicht automatisch zu geringeren Immissionen führen, da verschiedene komplexe Einflussfaktoren auf Schadstoffkonzentrationen in der Luft wirken. Ausgehend von einer wenig abnehmenden Luftbelastung in diesem vergleichsweise kurzen Zeitraum das gesamte Konzept der Luftreinhaltung und der Grenzwerte zu kritisieren, ist nicht sachdienlich und hat keine wissenschaftliche Grundlage.
Schlechte Luftqualität kann die Gesundheit des Menschen stark schädigen und kann besonders für Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich werden. Luftschadstoffe können nicht nur zu einem vorzeitigen Tod führen (Mortalität), sondern auch gesundheitliche Einschränkungen bewirken (Morbidität). Dieser Verlust an gesunder Lebenszeit ist nicht vernachlässigbar.
Die Corona-Krise führte kurzzeitig zur Reduktion mancher Emissionen insbesondere bedingt durch reduzierten Verkehr. Mittel- und langfristig sind allerdings weitere Anstrengungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene notwendig, um den vorbeugenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern auch weiter zu verbessern.
Zum Nachlesen auf UZ:
EU-Umweltbericht über Klimawandel, Umwelt- und Luftverschmutzung
Umweltbericht der UNO – die großen Probleme unserer Zeit
DLR-Studie: Verkäufe von Neuwagen mit Verbrennungsmotor müssen bis 2025 eingestellt werden