„Arbeit ist kein Kinderspiel!“
NGOs warnen vor Anstieg der Kinderarbeit wegen COVID-19-Pandemie – Kampagne Kinderarbeit stoppen! fordert verpflichtende Lieferkettenverantwortung für Unternehmen – EU-Justizkommissar Didier Reynders kündigt für 2021 ein europaweites Gesetz an
Von Michael Wögerer
Die weltweite COVID-19-Pandemie stellt nicht nur Gesundheitssysteme vor immense Herausforderungen. In den Armutsregionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas bedrohen die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns die Existenzen von Millionen. Die Armut steigt, die Perspektivenlosigkeit wächst. Eine der schlimmsten Folgen ist der weltweite Anstieg ausbeuterischer Kinderarbeit, warnen zahlreiche Organisationen anlässlich des internationalen Tages gegen Kinderarbeit am 12. Juni.
Mit zunehmender globaler Armut steigt auch die Verbreitung von Kinderarbeit, informierte das UN-Kinderhilfswerk UNICEF erst kürzlich. Schulschließungen aufgrund der Corona-Maßnahmen sowie eine erhöhte elterliche Sterblichkeit aufgrund von COVID-19 zwingen Kinder zur Kinderarbeit, die ihre Gesundheit und Sicherheit beeinträchtigt.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass weltweit immer noch 152 Millionen Kinder arbeiten müssen. Das Problem ist besonders akut in Afrika, wo fast die Hälfte der Kinderarbeiter (72,1 Millionen) zu finden sind, die Mehrheit in der Landwirtschaft.
„Das kann und muss sich ändern“, zeigt sich Peter Schissler, Vorsitzender von weltumspanennd arbeiten, dem entwicklungspolitschen Verein im ÖGB, überzeugt. Hierfür sind konkrete Armutsbekämpfungsprogramme der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) von entscheidender Bedeutung, um die schlimmsten Auswirkungen der COVID-19-Krise auszugleichen und Kinderarbeit wirksam zurückdrängen zu können. „Trotz – oder besser gesagt gerade wegen – der Corona-Krise muss das Ziel der österreichischen Bundesregierung, die EZA-Gelder endlich auf ein internationales Niveau zu heben, beibehalten werden. 0,7 Prozent des BIP sind das Mindeste!“, fordert Schissler.
„Gerade jetzt ist es wichtig zu zeigen, dass wir nicht auf die Kinder dieser Welt vergessen“, appelliert auch Herbert Wasserbauer von der Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der Katholischen Jungschar, an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft: „Arbeit ist kein Kinderspiel! Damit ausbeuterische Kinderarbeit im Jahr 2025 tatsächlich Geschichte ist, wie es sich die Weltgemeinschaft in den Zielen für nachhaltige Entwicklung vorgenommen hat, muss jetzt ein Maßnahmen-Turbo gestartet werden. Auch die österreichische Bundesregierung muss Initiative zeigen. Ein entscheidender Schritt wäre eine gesetzlich verbindliche Verankerung von umfassenden menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Ein solches Gesetz würde sicherstellen, dass Produkte, die in Österreich erhältlich sind, frei von ausbeuterischer Kinderarbeit sind“, so Wasserbauer.
In diesem Zusammenhang sei an einen kürzlich im Nationalrat von der SPÖ neu eingebrachten Entwurf eines Sozialverantwortungsgesetzes (SZVG) erinnert. Dieses sieht vor, dass Bekleidung einschließlich Schuhe und Textilien, in denen Kinder- oder Zwangsarbeit steckt, nicht in Österreich verkauft werden dürfen.
Die Kampagne Kinderarbeit stoppen! ladet zu einer Online-Mitmachaktion ein, um ein Zeichen gegen das Leid der arbeitenden Kinder dieser Welt zu setzen und für verpflichtende Lieferkettenverantwortung mobil zu machen.
Auf europäischer Ebene gibt es bereits unterstützenswerte Initiativen für eine gesetzliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen. Während in Frankreich und den Niederlanden solche Lieferketten-Gesetze schon Realität sind, wird dies in Deutschland von aktuell 94 zivilgesellschaftlichen Organisationen geforderte und bereits auf höchster Ebene diskutiert. Nachhaltige Lieferketten sollen auch ein Schwerpunktthema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft (ab Juli 2020) sein. EU-Justizkommissar Didier Reynders hat für 2021 einen Vorschlag für ein europaweites Gesetz eingebracht, das Missständen wie ausbeuterischer Kinderarbeit endlich ein Ende setzen soll. Das Lieferkettengesetz als Teil des Green Deal der Europäischen Union solle Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten und öffentlich-rechtliche Sanktionen ebenso wie Klagemöglichkeiten für Betroffene vorsehen. „Eine Regulierung ohne Sanktionen ist keine Regulierung“, so Reynders.
Titelbild: Der achtjährige Ahmed trägt Ziegel auf dem Kopf in einer Ziegelfabrik am Stadtrand von N’Djamena im Tschad, Samstag, 22. April 2017. Die Ziegelfabrik beschäftigte Ahmed und andere Kinder. © UNICEF/UN067752/Sokhin