Coronavirus: Es bahnt sich ein Kontrollverlust an (Teil 3)
Da viele – auch westliche – Regierungen zu spät, zu schwach und/oder zu falsch reagieren, gerät die Lage weltweit zunehmend außer Kontrolle. Der Versuch einer vor allem länderbezogenen Übersicht – inklusive eines Videoberichts einer jungen erkrankten Irin aus der Intensivstation.
Von Gregor Flock
Drei Beispiele von widersprüchlichen Zahlen
Österreich
In meinem letzten Artikel und auch basierend auf den Angaben eines Facharztes von 5% bin ich von einer Rate von rund 6% intensivmedizinischer Betreuung für alle SARS-CoV-2 Fälle ausgegangen. Die Presse dagegen berichtete am 20.3. für Österreich von 2666 bestätigten Fallen, von denen 85 stationär und davon 14 auf der Intensivstation behandelt werden. Das ergibt eine Vergleichzahl von nur 0.5% die um den Faktor 10 bis 12 niedriger bzw. zu niedrig ist; ähnliches gilt für die Nutzung von Intensivbetten. Werden die Zahlen bereits „im nationalen Interesse“ geschönt? Die Presse ist jedenfalls ÖVP-nah.
Frankreich und Niederlande
Absurd hoch ist auch die offizielle Zahl von 450 Toten bei nur 12 Genesenen für Frankreich (bei 12.632 bestätigten Fällen). Vergleichbares gilt für die Niederlande mit 107 Toten bei nur 2 Genesenen (bei 3003 Fällen; beides Stand 21.03.2020, 13 Uhr österreichische Zeit). Ein französischer Staatsbürger hat das so erklärt, dass nationale Medien sehr wohl von mehr Genesenen berichtet haben, aber dass die offizielle Zahl mancherorts nicht upgedatet wird. Ein vergleichbares Szenario wäre auch für die Niederlande denkbar. Das klingt plausibel, aber man fragt sich, wieso das bei anderen Ländern funktioniert und nicht im Falle von Frankreich oder den Niederlanden, die ja wohl auch ihre Erfolgsgeschichten bei der Bekämpfung des Virus in die Welt hinaustragen wollen.
Iran
Das gegenteilige Beispiel von vermutlich zu vielen Genesenen sehen wir beim Iran. Ich habe im Rahmen dieser Diskussion einen Blick auf Vergleichszahlen für Italien geworfen: Italien hat derzeit 4.032 Tote bei 4.400 Genesenen und 47.021 bestätigten Fällen, wobei der erste bestätigte Fall am 31. Jänner war. Iran dagegen hat 1.556 Tote bei angeblich 7.635 Genesenen und 20.610 bestätigten Fällen – allerdings bei erstem bestätigtem Fall am 20. Februar, also erst drei Wochen nach Italien. Da die Anzahl der Fälle im Iran bislang ferner auch weniger als die Hälfte derer von Italien ausmacht, erscheint die angebliche Anzahl der Genesenen im Iran als viel zu hoch. Hat der iranische Staat hier die Zahlen geschönt, um besser dazustehen? Oder ist vielmehr die vorherige Erklärung anzuwenden, derzufolge auch Italien zumindest einen gewissen Teil der Genesenen nicht angegeben hat?
Konklusion
All diese drei Beispiel zeigen eindrucksvoll, dass offizielle Angaben zum Coronavirus aus diversen Gründen nur mit Vorsicht zu genießen sind.
Italien
Es gibt im Folgenden einen hervorragenden Twitterthread vom 15. März, der einerseits die immer gravierender werdenden Geschehnisse in Italien schildert und andererseits als Prognose und eindringliche Warnung für andere Länder gedacht ist („An den Rest der Welt, ihr habt keine Ahnung, was auf euch zukommt“)
If you'e still hanging with friends, going to restaurants/bars, and acting like this isn't a big deal, get your shit together.
The following thread is taken from an Italian citizen.
As they put it:
"To the rest of the world, you have no idea what's coming."
MUST READ?
— Yano (@JasonYanowitz) March 14, 2020
So zum Beispiel sterben nämlich nicht nur Patienten sondern auch medizinisches Personal, welches dann bei der Betreuung der Patienten fehlt und wodurch dann noch mehr gestorben wird.
Noch ‚kränker‘ ist jedoch, dass eine Patenthalter Firma zwei findige Italiener verklagen will, die fehlende medizinische Utensilien im 3D-Drucker um einen Bruchteil der vermutlich aus Profitgier und wie in dieser Branche üblich künstlich hochgeschraubten hohen Kosten („price gauging„) hergestellt und damit Leben gerettet haben:
Capitalism has no concern for human life:
Italian volunteers found a way to 3-D print for $1 a piece needed for ventilators, saving the lives of coronavirus patients
So the company with the patent, which charges $11,000 for the piece, wants to sue them https://t.co/ypflEYVVS9
— Ben Norton (@BenjaminNorton) March 18, 2020
Als weiteres positives Beispiel aus Italien kann eine Kleinstadt herhalten, die alle Einwohner getestet, die 3% positiv Getesteten isoliert hat und 10 Tage später mit einer sehr niedrigen Infektionsrate von 0.3% belohnt worden ist:
How one small town at the center of the outbreak has cut infections virtually to zero: test all 3,300 in town, isolate the 3 percent who tested positive. Infection rate 10 days later down to .3 percent. https://t.co/5Tgpa7cCgl pic.twitter.com/qlydmYJ0mM
— Alec MacGillis (@AlecMacGillis) March 18, 2020
Südkorea
Eine sehr hohe Anzahl von Tests – über 250.000 – gab es zum Beispiel auch in Südkorea. Auch dort ist die Lage mit derzeit nur 105 Toten bei 1.540 Genesenen und 8.799 bestätigten Fällen – anders als in der westlichen Welt – sehr gut im Griff (das Center for American Progress unter Neera Tanden ist eine widerliche pseudo-progressive pro-Clinton Elitenorganisation (siehe „astroturfing„) aber im folgenden zitiere ich diese Quelle trotzdem):
The U.S. and South Korea both confirmed their first cases of coronavirus on January 20.
As of yesterday, South Korea had tested 274,000 people. The U.S. had only tested 25,000.
Trump's failure to provide widespread COVID-19 testing is costing American lives. pic.twitter.com/3XhY3OvUsJ
— CAP Action (@CAPAction) March 19, 2020
Spanien
Abseits von weniger glorreichen Zahlen (1.375 Tote bei 2.125 Genesenen und 25.374 bestätigten Fällen) macht Spanien ebenfalls positiv auf sich aufmerksam. Es hat nämlich alle Spitäler und Gesundheitsanbieter einfach auf unbestimmte Zeit verstaatlicht und so dem geisteskranken kapitalistischen Profitstreben im Gesundheitsbereich einen gesunden Strich durch die Rechnung gemacht:
Spain just nationalized all its hospitals and health care providers.
Every country should do this. We cannot trust corporations to put our health care needs over their profits.https://t.co/zo1GBsO5AT
— Eric Blanc (@_ericblanc) March 16, 2020
Irland
Im Gegensatz zu weniger vorsichtigen Staaten und Gesellschaften hat ausgerechnet Irland 36 Stunden vor dem St. Patrick’s Day alle Pubs geschlossen, was ebenfalls eine sinnvolle Gegenmaßnahme ist. Wie die folgende und abschließende Videoselbstreportage von einer jungen Frau auf der Intensivstation belegt, kann COVID-19 nämlich auch für junge und gesunde Menschen lebensbedrohlich sein:
'Fit and healthy' woman, 39, left struggling to breathe in intensive care from coronavirus makes chilling warning https://t.co/793bLmxJWe
— The Irish Sun (@IrishSunOnline) March 20, 2020
Gregor Flock ist unabhängiger systematischer Philosoph (univie.academia.edu/GregorFlock), Zivilgesellschaftler (Global Civil Society Network), politischer Analyst (medium.com/@GregorFlock). Twittert unter @GFlock_GCSN.