“Superkrüppel“ und “Opfer”
Die Verantwortung der Medien ist immens, tragen sie doch zum kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft bei. Trotzdem reproduzieren einige von ihnen völlig unreflektiert Stereotype und tragen so zur Exklusion von Menschen mit Behinderung bei. Der politische Grundgedanke „Nichts über uns – ohne uns“ wird weitestgehend nicht berücksichtigt. Auch die Aktion „Licht ins Dunkel“ steht alle Jahre wieder in der Kritik.
Von Hannah Wahl
„Menschen mit Behinderung als Superkrüppel“ ist eine von elf Kategorien, die Colin Barnes, emeritierter Professor der Disability Studies, Anfang der 90er Jahre ausführlich als stereotype Darstellungskategorie von Menschen mit Behinderungen in Massenmedien beschreibt. Die Benennung der Kategorie „Superkrüppel“ ist so provokant wie die Stereotype selbst: Dabei gilt es oft schon als „heldenhaft“, wenn Menschen ihr Leben trotz ihrer Behinderung meistern können. Eine andere Kategorie ist nach Barnes das Stereotyp „bedauernswert und pathetisch“, welches die Inszenierung als hilflose und auf Mitleid angewiesene Menschen zur Folge hat.
Mit „Glücklich sein für eine ganze Woche“ betitelte der frischgebackene Chefredakteur der Bezirksblätter Salzburg seinen Bericht über das Feriencamp des Malteserordens. „Fröhlichkeit trotz Handycap [sic!]. Die positive Lebenseinstellung der Behinderten war beeindruckend“, liest man unter einem der Fotos. Damit wurde ein Paradebeispiel für die stereotype Berichterstattung über Menschen mit Behinderung geschaffen, denen in den Medien oft nur die Rollen von „Opfern“ oder „Helden“ zugestanden werden. Der Titel suggeriert, dass Menschen mit Behinderung im Alltagsleben keine glücklichen Momente erleben – und zwar aufgrund ihrer Behinderung. Eine differenzierte Betrachtung, wonach Menschen mit Behinderung nicht grundsätzlich leiden, sucht man vergeblich.
Deutlich wird auch noch ein weiteres Phänomen der Darstellung, dass Menschen mit Behinderung vor allem im emotionalen Kontext inszeniert. So bringt auch der Chefredakteur der Bezirksblätter Salzburg in seinem Bericht Mitleid und Bewunderung zum Ausdruck. Betrachtet man die sprachliche Ebene, ist zum einen der veraltete und mittlerweile als diskriminierend geltende Begriff des Handicaps auffindbar, zum anderen der Ausdruck der „Behinderten“, der Menschen auf ihre Behinderung reduziert und sie einer homogenen Gruppe der „Anderen“ zuordnet.
Die aktuelle Studie „Mediale Darstellung von Menschen mit Behinderung“ online unter: www.mediaaffairs.at
UN-Behindertenrechtskonvention als unverbindliche Empfehlung?
Obwohl sich Österreich im Zuge der UN-Behindertenrechtskonvention (2008) dazu verpflichtet hat, konkrete Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung für die Situation und Anliegen von Menschen mit Behinderung zu ergreifen, um in der Gesellschaft verankerte Stereotype abzubauen, ist ein Fortschritt bislang nur schleppend zu verzeichnen. Das war auch das Ergebnis der Studie „Menschen mit Behinderungen in Österreichischen Massenmedien“, die 2015/1016 unter der Leitung von Maria Pernegger durchgeführt wurde. Untersucht wurden die Sendungen ZIB und ZIB2, die Printmedien Standard, Presse, Krone, Heute und Österreich sowie Facebook. Die Studie belegt, was ExpertInnen schon lange vermuten: Menschen mit Behinderung in Massenmedien sind generell unterrepräsentiert, Frauen mit Behinderung besonders stark, und über Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund wird überhaupt nicht berichtet. Zudem sei die Berichterstattung stark an Emotionen gekoppelt. Ein veralteter medizinischer Blick auf Behinderung, wonach man behindert ist, und nicht behindert wird, dominiert weitestgehend.
Oft werden Menschen auf ihre Behinderung reduziert und dementsprechend im emotionalen oder Wohltätigkeits-Kontext inszeniert. Lediglich der Standard schnitt im Hinblick auf stereotype Berichterstattung gut ab. In der Handlungsempfehlung kritisiert die Studie auch Aktionen wie Licht ins Dunkel, die durch Emotionen wie Mitleid Spenden lukrieren.
„Nichts über uns – ohne uns“
„Nichts über uns – ohne uns“ lautet der politische Grundgedanke der Behindertenbewegung, an dem sich immer noch wenige JournalistInnen etablierter Medien zu orientieren scheinen. Und das, obwohl die Miteinbeziehung von Menschen mit Behinderung in die Berichterstattung auch als eine Möglichkeit zum Abbau von Stereotypen in den Medien gesehen werden kann. Will man verhindern, dass Menschen mit Behinderung zum passiven Objekt der Berichterstattung degradiert werden, muss man auch einen barrierefreien Zugang zum jeweiligen Informationsmedium ermöglichen. Um das zu garantieren, legt die UN-Behindertenrechtskonvention das Recht auf freien Informationszugang fest. Maßnahmen zur Beseitigung solcher Barrieren halten sich bislang aber in Grenzen.
Martin Habacher, selbstständiger Medienberater, sieht in der Verwendung von Leichter Sprache ein zentrales Mittel, um einen Teil der Barrieren im Internet abzubauen. Diese sei außerdem eine großartige Möglichkeit, die breite Bevölkerung wieder dazu zu bewegen, sich mit der immer komplexer werdenden Politik auseinanderzusetzen und aktiver am politischen Geschehen teilzunehmen. Im Zuge der Nationalratswahlen 2017 hat sich Habacher genau mit den Programmen der wahlwerbenden Parteien beschäftigt: „Nur bei der SPÖ fand ich ein paar Zeilen in Leichter Sprache – jedoch nur beim Thema Behinderung. In einem persönlichen Gespräch mit Ex-Kanzler Christian Kern habe ich ihn gefragt, warum nur dieser Teil für Menschen mit Lernbehinderung zugänglich gemacht wird. Eine richtige Antwort wusste er auch nicht!“
Definition Leichte Sprache in Leichter Sprache:
„Leichte Sprache ist eine sehr leicht verständliche Sprache.
Man kann sie sprechen und schreiben.
Leichte Sprache ist vor allem für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.
Aber auch für andere Menschen.
Zum Beispiel für Menschen, die nur wenig Deutsch können.“
(Netzwerk Leichte Sprache)
Licht ins Dunkel
Auch an der jährlichen Weihnachts-Spendenaktion des ORF, „Licht ins Dunkel“, wird aufgrund ihrer stereotypen Darstellungsweise, aber auch wegen ihres Charity-Charakters an sich, Kritik geübt. Viele wollen die „Mitleidstour“ nicht hinnehmen: „Charityformate wie ,Licht ins Dunkel’ entwerfen ein völlig falsches, verzerrtes Bild von Menschen mit Behinderungen und machen sie zum bemitleidenswerten Objekt der Fürsorge anderer“, so Martin Ladstätter, BIZEPS-Obmann und Mitglied des Monotoringausschusses zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Er plädiert für die Abschaffung solcher Formate, weil sie für einen falschen Umgang mit dem Thema Behinderung stünden. Gleichberechtigung bedeute nicht, zum Spendenempfänger / zur Spendenempfängerin degradiert zu werden.
Auch Monika Schmerold, Sachverständige für barrierefreies Bauen und Gestalten und Mitglied der Besuchskommission 2 der Volksanwaltschaft, kritisiert das Spendenkonzept von Licht ins Dunkel: “Wozu Spenden für Menschen mit Behinderung? Gebt ihnen ihre Menschenrechte und somit ihre Würde! Der Staat darf sich mit dieser Kampagne nicht weiter aus seiner sozialen Verantwortung stehlen.“ Es brauche eine Bewusstseinsänderung bei allen handelnden Personen, sowie einen Paradigmenwechsel weg vom konservativen Bild des „fürsorgebedürftigen Behinderten“ hin zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft mit allen Rechten und Pflichten.
Auf Nachfrage, ob Charity Distanz zu Menschen mit Behinderung schafft, räumt Licht ins Dunkel ein: „Diese Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Bei ,Licht ins Dunkel’ ist eher das Gegenteil der Fall. ‚Licht ins Dunkel’ verbindet Menschen miteinander – durch die Vielzahl der Projekte und der Menschen, die wir unterstützen und denen wir medial Gesicht und Stimme verleihen, wird Nähe und nicht Distanz erzeugt und gelebt. Darüber hinaus ist die Aktion auch eine Art gesellschaftlicher Kitt, der diejenigen, die sinnvoll helfen wollen, mit denjenigen zusammenbringt, die das professionell tun.“ Auch die am Namen der Aktion selbst geübte Kritik prallt bei Licht ins Dunkel ab – argumentiert wird vor allem mit dem hohen Bekanntheitsgrad des Markennamens: Dieser schließe eine Änderung des Namens aus. Die Marke sei in über vier Jahrzehnten zu einem Synonym für Solidarität und Zusammenstehen geworden.
Es sind Aussagen wie diese, die auch dem Journalisten Harald Saller sauer aufstoßen: „,Licht ins Dunkel’ ist eine Aktion, die nur auf Mitleid und nicht auf das selbstbestimmte Leben von den Menschen abzielt. Das beginnt schon beim unglücklichen Namen ‚Licht ins Dunkel’ und setzt sich beim Konzept, das sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht verändert hat, fort.“ In der jetzigen Form sei die Aktion nicht mehr tragbar.
Trotz der vernichtenden Kritik, die an Sendungskonzeption und Umsetzung des ORF-Spendenklassikers geübt wird, gibt es auch Menschen mit Behinderung, die Licht ins Dunkel grundsätzlich positiv gegenüberstehen: „Ich glaube, dass es kein Makel für eine Gesellschaft ist, wenn sich viele Menschen bereit erklären, Geld für einen guten Zweck zu spenden und damit jenen zu helfen, denen es nicht so gut geht. Zweifellos muss es aber unser Ziel sein, ein System zu gestalten, in dem Menschen mit Behinderung nicht auf solche Aktionen angewiesen sind, sondern ein selbstverständlicher und nach den jeweiligen Bedürfnissen zu unterstützender Teil unserer Gesellschaft sind.“ So positioniert sich die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Kira Grünberg auf Anfrage des Vereins Integration Tirol. Solange diese Meinungs- und Bewusstseinsbildungsprozesse aber nicht abgeschlossen sind, befürworte sie Aktionen wie „Licht ins Dunkel“.
Bis heute leben Stereotype in der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung weiter, die Kritik daran findet nicht allzu oft Gehör. Auch wenn Medien alleine wohl nicht in der Lage sind, einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, können sie durch reflektierte und kritische Arbeit doch dazu beitragen. Könnte ein neuerliches Aufflammen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, die bereits in den 70er Jahren mit ihrem Aktivismus den Grundstein für mehr Inklusion legte, ein nachhaltiges Umdenken einfordern?
Titelbild: Tageszeitung (pixabay.com; public domain)