Demokratie am Abgrund: Emmanuel Macron als letzter Trick des Kapitals
Was haben Deutschlands Medienmacher und die politischen Akteure der Regierung und des restlichen Polittheaters durchgeatmet, als im Mai der geschmeidige Emmanuel Macron in der Stichwahl um das Amt des französischen Staatspräsidenten triumphierte. Europa sei gerettet, die rechte Gefahr gebannt: Marine Le Pen.
Dabei hatte die Vorsitzende der rechtsextremen Front National nie eine reelle Chance, den Posten zu erobern. Rechts kommt zwar gut an beim aufgehetzten Bürger, aber eben nicht gut genug. Und schon gar nicht, wenn der Überbringer der faschistischen Heilslehre eine Frau ist. Eine Dame auf dem Präsidentenstühlchen ist für das traditionelle Frankreich so unvorstellbar wie für Wolfgang Schäuble ein Schuldenschnitt für Griechenland.
Nein, die Stichwahl war belanglos. Viel wichtiger war es, den Angriff von links zu parieren. Im Falle einer Entscheidung zwischen Macron und dem wortgewaltigen Sozialisten Jean-Luc Mélenchon wäre eventuell Spannung aufgekommen, da sich mit Mélenchon die Frage nach der Umverteilung des Reichtums und im Ansatz die nach der Berechtigung des Systems verband: das wahre Schreckgespenst des Kapitals.
Aussagen wie „Wer nicht teilen will, muss dazu gezwungen werden“, brachten Mélenchons Fans in Verzückung und seine politischen Feinde in Rage. Als Kommunist und Bedrohung wurde er diffamiert. Aber wen hätte Mélenchon bedroht? Eine gesellschaftliche Ordnung, die auf Machtstrukturen beruht, die sich aus der Kontrolle des Kapitals und aus den Besitzverhältnissen ableiten.
Nun bleibt nicht nur alles beim Alten, sondern es wird noch schlimmer. Mit Macron wurde ein Zögling des Raubtierkapitalismus zum Präsidenten gewählt, der die Sinnhaftigkeit des Systems in keiner Sekunde anzweifelt.
Dass der Ex-Investmentbanker keine Alternative darstellt, auch wenn er in Deutschland medial überwiegend als Hoffnungsträger verkauft wird und sich in seinem Programm tatsächlich der eine oder andere schmackhafte Krümel findet, hat vor allem die junge Generation in Frankreich verstanden. Sie blieb in Scharren der Stichwahl fern und verweigerte dem System die Gefolgschaft. Die schlechteste Wahlbeteiligung seit 1969 zeigte, dass die Demokratie ihren Wert verloren hat und vor dem Ende steht.
Jetzt wurde bei der 1. Runde der Parlamentswahl der Sargdeckel zugeknallt. Eine Wahlbeteiligung von 48,7 % ist der Offenbarungseid: Egal wer gewählt wird, die Mehrheit hat die Demokratie aufgegeben.
Macrons Bewegung „La République en Marche“ konnte von den kläglichen Resten etwas mehr als 32 % einsammeln. Da es keine Mindestwahlbeteiligung gibt, wodurch diese Farce beendet werden könnte, schickt sich En Marche nun an, am Sonntag die deutliche Mehrheit aller Abgeordneten in der Nationalversammlung zu stellen. Eine absurde Minderheit wird dann in Frankreich das Zepter schwingen.
Dass ausgerechnet deutsche Medien den Grund der historisch niedrigen Wahlbeteiligung am sonnigen Wetter festmachen, zeigt das fundamentale Missverhältnis zwischen kritischer Auseinandersetzung mit dem Geschehen und der Hofberichterstattung für Frankreichs neuen Statthalter.
Von einer Erneuerung der politischen Landschaft, wie sie hier und dort kolportiert wird, oder eines Wegfegens des Establishments kann gar keine Rede sein. Es ist ein Trick, um den Schein eines demokratischen Systems zu retten, dem die Legitimation entzogen wurde.
Aus dem Nichts wurde eine neue Partei aus der Taufe gehoben und an ihrer Spitze ein Superman insziniert, um die ausgebrannten Sozialisten zu beerbt, denen die Wähler nicht mehr über den Weg trauen. Die „Parti socialiste“ wurde marginalisiert und stürzte auf unter 8 % ab.
Doch das ist Zahlenspielerei. Politik, Wirtschaft und Kapital sind nicht nur in Frankreich untrennbar miteinander verwoben. Zu wenig wird an die Gesellschaft gedacht, zu sehr dominieren Eigeninteressen das Denken, zu ausgeprägt ist die Korruption. Entstanden sind mafiöse Strukturen. Die Stimme des Volkes hört in den Palästen von Berlin, Brüssel oder Paris keiner mehr – auch Macron nicht.
Er muss keine Opposition fürchten und wird sich als Sonnenkönig von Frankreich mit der Front National von Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchons La France insoumise (Partei Unbeugsames Frankreich) lediglich auf dem rechten und linken Flügel politische Schoßhunde ohne Biss halten, die laut bellen dürfen, um das einschläfernde Gefühl von Alternative zu vermitteln.
Das Vorbild liefert Deutschland. Mit der Partei Die Linke, den Grünen und der FDP und AfD, die, so viel Pessimismus sei erlaubt, im September in den Bundestag einziehen werden, kreisen um die neoliberale Mitte systemstabilisierende Trabanten. Im Zentrum dieser gleichförmigen Galaxis verglüht langsam die Sozialdemokratie, deren Trümmer sich problemlos in alle Lager einpassen lassen.
Im Gegensatz zur deutschen Politikelite, die beständig demokratische Werte betont, macht sich Macron nicht einmal die Mühe, das eigene antidemokratische Weltbild zu verstecken. Er war es höchst selbst, der den Schleier gelüftet hat:
Den im November 2015 im Namen der Terrorismusbekämpfung von François Hollande ausgerufenen Ausnahmezustand, der genutzt wurde, um Menschenrechte aufzuweichen und insbesondere die Proteste gegen die geplanten Arbeitsmarktreformen zu kriminalisieren und zu unterdrücken, will Macron in normales Recht überführen. Damit wird Frankreich zu einem Polizeistaat, der ohne besonderen Anlass gegen jeden und auch gegen jede Art zivilgesellschaftlichen Widerstands vorgehen kann.
Für die Verlängerung des Ausnahmezustands, der am 17. Juli auslaufen würde, bräuchte Macron die Zustimmung des Parlaments. Nach den Wahlen am Sonntag wird das Abnicken zur Selbstverständlichkeit. Dass der Senat als zweite Kammer nicht mitzieht, kann bezweifelt werden: Die bürgerliche Rechte hat dort noch die Mehrheit.
Das zweite große Schlachtfeld ist der Arbeitsmarkt, der radikal umgebaut werden soll. Die Blaupause kommt von den Sozialisten, die das Konzept aber nicht durchsetzen konnten. Dafür muss ein neuer Typus des Demokratiemanagers ran: Macron.
Der Blogger André Tautenhahn bemerkt in seinem Kommentar zur Parlamentswahl treffend, dass die neoliberale Agenda von Hollande jetzt „noch schärfer und zügiger“ vorangetrieben wird.
Dazu gehört die Aufweichung des Arbeitsrechts, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Prekarisierung der Lohnarbeit selbst und mittels innerbetrieblicher Tarifvereinbarungen die Entmachtung der Gewerkschaften. Die werden dem Treiben nicht tatenlos zusehen.
Macron wird in jedem Fall seine Funktion erfüllen und auftretenden Widerstand zu ersticken suchen, um die Umverteilung von unten nach oben zu beschleunigen: mit den Mitteln einer Demokratie, an die die Mehrheit nicht mehr glaubt.
Niemand muss ein Prophet sein, um zu erahnen, dass Frankreich ein heißer Sommer bevorsteht, in dem es zur offenen Konfrontation zwischen den Vertretern neoliberaler Interessen und großen Teilen der Bevölkerung kommen kann, weil es zum Kapitalismus eben nur eine gesellschaftspolitische Alternative gibt: seine Abschaffung.
Der Beitrag erschien zuerst auf Neue Debatte, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.
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