Eine Zeitung schafft sich ab
Vor 25 Jahren erschien die letzte Ausgabe der „Arbeiter-Zeitung“ (AZ) – Ein kritischer Rückblick von Michael Wögerer
„Arbeiter! Genossen!“, das waren die einleitenden Worte in der am 12. Juli 1889 zum ersten Mal erschienenen „Arbeiterzeitung“. Sie war das offizielle Zentralorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die zum Jahreswechsel 1888/89 im niederösterreichischen Hainfeld gegründet wurde. Das Entstehen von Partei und Zeitung ist untrennbar mit ihrem Gründervater Victor Adler verbunden, der im sozialdemokratischen Wochenblatt „Gleichheit“ (1886 – 1889) seine berühmt gewordene Reportage über die katastrophalen Lebens- und Arbeitsumstände der sogenannten „Ziegelböhm“ am Wienerberg veröffentlichte.
Die anfangs vierzehntäglich, später wöchentlich und seit 1. Jänner 1895 als Tageszeitung gedruckte „Arbeiter-Zeitung“ stand „auf dem Boden der ‚Hainfelder Beschlüsse‘, auf dem Boden der sozialdemokratischen Partei Österreichs“, heißt es im Editorial der ersten Ausgabe 1889. „Das Ziel: Die ökonomische, geistige und politische Befreiung der Arbeiterklasse; (…) Der Weg: Erfüllung der Arbeiterklasse mit dem deutlichen Bewusstsein ihrer Lage und ihrer Aufgabe und Organisation als politische Partei mit einem klaren und unzweideutigen Programm.“
„Das Hirn zu erhellen, das Herz zu erwärmen – daran wollen wir arbeiten.“
Mit acht Seiten und einer Auflage von 24.000 Exemplaren gestartet, spielte die „AZ“ unter ihrem Chefredakteur Friedrich Austerlitz (1895–1931) eine führende Rolle in der politischen Auseinandersetzung vor und nach dem Ersten Weltkrieg und erreichte mit 100.000 Exemplaren pro Tag zentralen Einfluss in der sich immer stärker emanzipierenden österreichischen Arbeiterbewegung. Sie war den Mächtigen ein Dorn im Auge, musste sich gegen Zensur und Repression zur Wehr setzen und wurde schließlich am 12. Februar 1934 vom Austrofaschismus verboten, allerdings im Exil in Brünn (bis 1937) als Wochenblatt und in Paris (bis 1938) als vierzehntägige Ausgabe weitergeführt und nach Österreich geschmuggelt.
Nach den Wirren der faschistischen Diktaturen und des Zweiten Weltkrieges, denen auch zahlreiche namhafte Redakteure der Arbeiter-Zeitung zum Opfer fielen, erschien am 5. August 1945 neben dem „Kleinen Volksblatt“ der ÖVP und der kommunistischen „Volksstimme“ auch die sozialdemokratische „Arbeiter-Zeitung“ wieder. Für viele Menschen war dies „nach den Jahren des Austrofaschismus, der Naziherrschaft und des Krieges, in der Trostlosigkeit des hungernden und zerstörten Österreich ein Signal der Hoffnung“, erinnert der Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. „Schon in der Nacht stellten sich viele Leute bei dem – glücklicherweise von den Kriegsereignissen verschont gebliebenen – „Vorwärts“-Gebäude in der Rechten Wienzeile an, um ein druckfeuchtes Exemplar der durch Jahre entbehrten Zeitung zu ergattern.“
„Die Geschichte der Arbeiter-Zeitung fällt zeitlich zusammen mit dem Aufstieg der österreichischen Arbeiterklasse“, hieß es auf der Titelseite an diesem Sonntag. Sie „war in dem jahrzehntelangen Ringen um politisches Recht und sozialen Aufstieg eine der schärfsten Waffen der österreichischen Arbeiterklasse. Diese stolze Tradition wollen wir fortführen, ihrer wollen wir uns würdig erweisen.“
„Die Zeitung, die sich was traut – die Zeitung, der man vertraut“
Im besetzten Österreich setzt sich die publizistische Erfolgsgeschichte der „Arbeiter-Zeitung“ unter der Leitung ihres Chefredakteurs Oscar Pollak vorerst fort. Bis 1955 ist die AZ mit etwa 300.000 Exemplaren die auflagenstärkste Zeitung Österreichs.
Politisch fährt das SPÖ-Zentralorgan einen „strikt antikommunistischen Kurs“, schrieb Herbert Lackner im profil zum 20. Todestag „Der junge Reporter Franz Kreuzer, später ORF-Intendant und Gesundheitsminister, knatterte mit seinem Motorrad durch die russische Zone und berichtete unerschrocken über Vergewaltigungen, Entführungen und Verschleppungen durch Rotarmisten.“ Die Zeitung nahm dies zum Anlass und bewarb ihre Linie mit dem Slogan „Die Zeitung, die sich was traut – die Zeitung, der man vertraut“
Doch nach 1955 erreichte die oft unterhaltsamere Boulevardpresse rasch höhere Auflagen als die Parteipresse aller Couleurs. Der damalige ÖGB-Präsident Franz Olah schoss der AZ zusätzlich ins Knie, als er 1959 für die Gründung der Neuen Kronen Zeitung durch den früheren Kurier-Chefredakteur Hans Dichand und seines damaligen Geschäftspartners Kurt Falk „die nötigen Millionen in Form eines mit ÖGB-Geld besicherten Kredits bei der Zentralsparkassa auftrieb“ (Lackner).
Modernisierungsverlierer
Mit den Verkaufszahlen und dem Image der Arbeiter-Zeitung ging es seither bergab. Ab 1961 sollte Franz Kreuzer als neuer Chefredakteur das einigermaßen verstaubt wirkende Blatt in Form und Inhalt renovieren. Er scheiterte und verließ 1967 die AZ in Richtung ORF, in jenem Jahr in dem die Kronen Zeitung zum auflagenstärksten Blatt aufgestiegen war, und seither diesen Platz nie wieder hergab.
Eine gewisse Vorahnung, dass es um die Zukunft der Zeitung schlecht bestellt ist, kann man in der letzten Kolumne des scheidenden Chefredakteurs Oscar Pollak zwischen den Zeilen lesen: „Die Arbeiter-Zeitung ist wie keine andere mit ihren Lesern durch das geistige Band der Gesinnung verbunden. Diese traditionelle Gebundenheit, über die die Gesinnungslosen und die Kommerzseelen spotten, ist ihr unschätzbares Gut. Ich bin überzeugt, dass meine Freunde in der Redaktion und meine Freunde in der Partei alles daransetzen werden, es zu bewahren. (…) Die Arbeiter-Zeitung ist in mehr als siebzig Jahren ihres Bestandes ein Blatt von internationalem Ansehen geworden: ein Ausdruck der öffentlichen Meinung Österreichs, ein Sprachrohr des demokratischen und humanistischen Sozialismus. Möge sie es bleiben.“
Doch die „Gesinnungslosen und die Kommerzseelen“ setzten sich auch in der SPÖ schleichend durch. Nachdem Bruno Kreisky im Februar 1967 den Vorsitz der SPÖ übernommen hatte, wurde ein neues Medienkonzept entwickelt. Neuer AZ-Chefredakteur wurde Paul Blau, davor Chefredakteur der Monatszeitschrift „Wirtschaft und Arbeit“. Um der Kronen Zeitung etwas entgegenzusetzen, gründete die Wiener SPÖ im Oktober 1967 das Boulevardblatt „Neue Zeitung“. Der Versuch scheiterte allerdings binnen kurzer Zeit, da man trotz aufwändiger Werbekampagne die Auflage von 100.000 Stück nicht übersteigen konnte. Die Neue Zeitung wurde aufgrund hoher Verluste im Dezember 1970 in eine Wochenzeitung umgewandelt und Mitte 1971 wieder eingestellt.
Hinzu kommt ein Kuriosum der damaligen Zeit: Ausgerechnet die Erfolge der SPÖ (absoluter Mandatsmehrheit ab den Nationalratswahlen 1971) und die Beliebtheit von Bundeskanzler Bruno Kreisky auch in den bürgerlichen Medien, führten dazu, dass die Notwendigkeit einer eigenen Parteizeitung in den Hintergrund trat.
Gescheiterter Abnabelungsprozess
Schon kurz nach den Wahlsiegen der SPÖ hatte in der AZ mit Manfred Scheuch ein neuer Chefredakteur die Leitung übernommen. Mit ihm wurde der Ende der sechziger Jahre eingeleitete Veränderungs- und auch personelle Verjüngungsprozess fortgesetzt. Die in Österreich aufkommende 68er-Bewegung spülte junge, kritische JournalistInnen an Bord der Arbeiter-Zeitung (1). Ein in Österreich zum ersten Mal eingeführtes Redaktionsstatut sollte für journalistische Unabhängigkeit sorgen. Ökonomisch verändert dies allerdings nichts, die Abhängigkeit von der SPÖ verschärfte sich aufgrund der schwachen Erlöse aus dem Verkauf und mangelnder Inserate sogar. Vorschläge der Redakteure zur Etablierung der AZ als ein parteiunabhängiges, linkes Blattes wurden von Kreisky stets verworfen. Die AZ blieb bei der Diskussion um das Kernkraftwerk Zwentendorf und später zum Kraftwerksbau in Hainburg zumindest nach außen hin auf Parteilinie.
Hoffnungsschimmer Presseförderung und Kleinformat
Ein kurzer Lichtblick ergab sich 1974 durch die unter Kreisky eingeführte Presseförderung, von der die AZ besonders deutlich profitierte. Die Zeitung erhielt eine neue Eigentümerstruktur, Albrecht K. Konecny wurde als neuer Herausgeber des Blattes berufen, sie blieb aber weiterhin in Parteibesitz. Mit der Übernahme des „Salzburger Tagblatt“ (1984) und des „Oberösterreichisches Tagblatt“ (1987) als regionale Mutationen und der Umbenennung in „Neue AZ“ (ab 1985) konnte der Auflagen- und Leserschwund gestoppt werden. Mit etwa 70.000 täglich verkauften Exemplaren lag die nun im Kleinformat herausgegebene Zeitung jeweils knapp vor Konkurrenten wie der „Presse“ und in der Reichweiten-Rangliste von Österreichs Tageszeitungen an vierter Stelle. Dennoch kam die Neue AZ ökonomisch nicht auf die Überholspur. Trotz treuem Abonnentenstamm gab es kaum Anzeigenerlöse. „Wir hatten viele Leser und bessere Auflagen als manche angesehene Tageszeitungen heute. Aber in puncto Inserate war die ‚AZ‘ nicht zu verkaufen, wir haben den Hautgout des Parteiblattes nicht losbekommen“, erinnert sich Eva Gogala im „Österreichischen Journalist“. Heute schreibt sie für das Kurier-Magazin freizeit.
Schließlich zog SPÖ-Modernisierer Franz Vranitzky die Notbremse und kündigt bereits kurz nach seiner Übernahme des Parteivorsitzes 1988 den Verkauf der geschichtsträchtigen Arbeiter-Zeitung an. Im Herbst 1989 ging das Blatt zu 90 Prozent an die Birko-Holding des Werbe-Unternehmers und Illustrierten-Verlegers Hans Schmid (die SPÖ behielt 10 Prozent). Der bekannte Fernsehmoderator Robert Hochner wurde medienwirksam als Chefredakteur eingesetzt, viele neue Redakteure verpflichtet, aber ein Jahr danach wollte Schmid das weiterhin defizitäre Blatt nicht mehr finanzieren. Der „schillernde Kreative mit Hang zur marktwirtschaftlich orientierten Sozialdemokratie“ (Falter) ist heute Großwinzer und Eigentümer des Wiener Kaufhauses Steffl.
Mit dem Engagement der Redaktion, seiner LeserInnen und einigen größeren, finanziellen Unterstützern konnte der Tod der AZ unter der Leitung von Peter Pelinka als letztem Chefredakteur noch rund ein Jahr hinausgezögert werden, aber am 31. Oktober 1991 musste das Traditionsblatt doch sein Erscheinen einstellen.
Durch politische Fehlentscheidungen, bewusste Sabotage, persönliche Eitelkeiten und kapitalistisches Großmäulertum hat sich die Arbeiter-Zeitung 102 Jahre nach ihrer Gründung letzten Endes selbst abgeschafft. Auch der in zahlreichen Nachrufen besonders positiv vermerkte Imagewandel zu einer „modernen, links-liberalen Zeitung“ hat das Sterben in Wahrheit nicht aufgehalten, sondern beschleunigt.
Denn: Bürgerliche Zeitungen gab und gibt es in Österreich genug.
Nachspiel:
2004 wurden alle Ausgaben der Arbeiter-Zeitung von 1945 bis 1989 unter der Federführung des ehemaligen AZ-Redakteurs Andy Kaltenbrunner in einem gratis zugänglichen Online-Archiv verfügbar gemacht. arbeiter-zeitung.at erhielt dafür Preise wie jenen der Comenius-Jury in Berlin, wurde als „digitales Kulturerbe“ bewertet und in das Archivportal der UNESCO aufgenommen. Die Ausgaben von 1889 bis 1936 werden von der Österreichischen Nationalbibliothek in ihrem virtuellen Zeitungslesesaal ANNO – Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften ebenfalls gratis zum Lesen bereitgestellt.
Anmerkung:
(1) Umbau- und ein Verjüngungs-Prozess ab Anfang der achtziger Jahre: Neue Generation der Politikredakteure und Kommentatoren: Herbert Lackner, Peter Pelinka, Ilse Brandner-Radinger, Georg Hoffmann-Ostenhof, Andy Kaltenbrunner, Robert Wiesner. In Wirtschafts-, Chronik-, Kultur- und Sportressort reüssieren ebenfalls junge Journalisten in Kooperation mit den Routiniers: Tessa Prager, Otto Ranftl, Eva Gogala, Eva Kutschera (alle Chronik), Heinz Sichrovsky, Christoph Hirschmann (Kultur), Eva Pfisterer, Helmut Dité, Ursula Haslauer (Wirtschaft), Dieter Chmelar (Sport). In einem weiteren Schub Mitte der achtziger Jahre folgen junge Mitarbeiter, die ebenfalls rasch Karriere machen, wie Fritz Dittlbacher, Günter Kaindlstorfer, Walter Pohl, Gerhard Plott, Astrid Zimmermann, Robert Misik, Roman Freihsl, Christian Nusser, Klaus Kamolz, Ruth Rybarski, Josef Kalina und viele mehr. Koordiniert wird die Zeitung seit dem Tod Herbert Löwys im Jahr 1983 vom umtriebigen Chef vom Dienst Peter Bylica. (Quelle: arbeiter-zeitung.at)
Fotos: vga.at; rotbewegt.at; Titelbild: Erste Ausgabe der Arbeiterzeitung vom 12. Juli 1889 (anno.onb.ac.at)