Holt mich hier raus!
Kapital schlagen mit Gerfried Tschinkel
Ein Professor an der Wirtschaftsuniversität hat einmal den wahren Satz ausgesprochen, der Sozialismus habe die Produktionsmittel vergesellschaftet, aber der Kapitalismus hat unsere Träume vergesellschaftet. Damit ist er bisher nicht so schlecht gefahren, der Kapitalismus, meine ich. Es ist ja nicht bloß so, dass Disney unsere Vorstellungen von der Liebe geprägt hat, sondern dass sich in den Hollywood-Liebes-Schinken auch unsere eigenen Wunschvorstellungen von der Liebe und von Beziehungen wiederfinden. Eine Liebe, die es nicht gibt, die aber in Zeiten einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft durchaus angestrebt wird. Es ist nicht nur so, dass mit den Produkten der Unterhaltungsindustrie unsere Lebensnormen wesentlich beeinflusst werden, die Unterhaltungsindustrie ist ganz wesentlich auch Produkt unserer eigenen Wünsche und Vorstellungen. Diese werden aufgegriffen von findigen Geschäftemachern, welche ein Zerrbild wirklicher Verhältnisse als Spiegelung unserer eigenen Sehnsüchte auf die Leinwand projizieren, auf die Bühne stellen oder über den Laufsteg schreiten lassen. Wir beten Superstars an, den äußeren Schein und ihren Marktwert, verfolgen sie auf Schritt und Tritt, verurteilen oder bewundern sie, anstatt unseren eigenen Träumen nachzugehen, die sich irgendwo auf dem Weg zwischen AMS und Zigarettenautomaten verloren haben.
Wenn man einsam ist und nichts Besseres zu tun hat, dann schaue man doch einfach fern. Von Talk- bis Castingshows über Best of irgendwas Sendungen. Das Ranking im Fernsehen ersetzt überhaupt das eigenen Urteilsvermögen. Die Geschichte, als eine Geschichte von Klassenkämpfen, wird darin umgedeutet als eine Geschichte von Moden, Trends und Charterfolgen. Da wir uns nicht um uns selbst bewegen, lassen wir die Illusionen einer heilen Welt um uns kreisen. Und wenn wir nicht bloß von den Stars träumen, sondern davon träumen, selbst ein Star zu sein, dann bietet sich eben an, irgendeinen Scheiß auf Youtube zu stellen oder fünfzig Mal am Tag Bilder über Instagram zu jagen. Der Kapitalismus suggeriert, es gäbe eine gewisse Durchlässigkeit im Sternenhimmel, jeder kann es schaffen. Und man muss heute wirklich gar nichts mehr können um berühmt zu sein. Warum auch immer man das anstreben sollte. Dass es sich wirklich nur um eine Scheinwelt handelt, daran werden wir ja sogar täglich erinnert, wenn von irgendwelchen Drogenexzessen und dergleichen die Rede ist. Amy Winehouse und Kurt Cobain sind die besten Bespiele dafür, dass es nicht schön ist im Paradies des Ruhms zu leben. Himmel und Hölle liegen eben nah beieinander.
Dennoch haben wir unsere Götzen in unseren Superstars gefunden, in die wir all unsere Sorgen und Hoffnungen hineinprojizieren. Es ist die Verselbständigung eines erträumten Lebens gegenüber unserem eigenen Elend. Es ist ein Aufschrei und das Opium des Volkes. Der Entwurf besserer Verhältnisse, der uns in Form der immer gleichen Idioten entgegenlacht, die aus irgendeinem Grund in den Olymp des Showbiz gehievt wurden und einen kulturindustriellen Graben zwischen uns und den Herrschenden bilden. Sie sind vorgeschobene Idole eines ekelhaften Machtkomplexes. Lasst uns durch die Kritik der Verherrlichung unserer Idole zur Kritik der bestehenden Verhältnisse kommen. Um diese umzuwerfen und zur Abwechslung wieder mal die Produktionsmittel zu vergesellschaften. Denn die Forderung, so Marx, die Illusionen über den eigenen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.
Gerfried Tschinkel ist Ökonom und lebt in Kottingbrunn.
Bisher in „Kapital schlagen“:
Illustration: Richard Klippfeld