„Nur tote Homos sind gute Homos“
Ich bin wütend. Ich habe Angst. Ich werde niemals eine Schwulenbar aufsuchen. Das waren die ersten irrationalen Gedanken, die mir in den Kopf schossen, als ich vom blutigen Massaker eines Islamisten an 50 Homosexuellen hörte. Omar Mateen hieß der Täter, der jetzt vom IS und anderen reaktionären Faschisten in Bausch und Bogen als Märtyrer gefeiert wird, weil er „50 Perverse getötet hat“, wie es in einer türkischen Zeitung hieß, die dem autoritären Präsidenten Erdogan nahesteht. Nachdem er 50 Menschen zu einer gut besuchten Zeit in eben jenem Lokal erschoss und ebenso viele verletzt hatte, beförderte ihn die dortige Polizei ins Paradies.
Omar Mateen war angeblich ein geistig gestörter Choleriker, der seine Frau regelmäßig schlug und vom Märtyrertod mit einem TNT-Gürtel um den Oberkörper träumte. Auf Fotos wirkt er wie ein ganz normaler Mann im mittleren Alter. Nicht, dass das für die Opfer und deren Angehörige eine besondere Rolle spielen würde. Aber in den USA und hierzulande tut es das. Nein, es spielt die zentrale Rolle. Denn im Westen der Post-9/11 Ära, in der der „War on Terror“ die wichtigste Säule staatlichen Handelns und medialer Propaganda spielt, ist so ein Massaker eine Bestätigung für die angebliche kulturelle Erhabenheit über die MuslimInnen. Anstatt sich mit der dominanten und aggressiven Männlichkeit, der homophoben Kultur in der muslimischen Community im speziellen auseinanderzusetzen, ergeht man sich in theologischen Ergüssen, die die totale Barmherzigkeit Allahs beweisen soll, immer mit der Behauptung bespickt, dass homophobe Gewalt nichts mit der Religion zu tun hätte – obwohl der Islam nichts weiter als Ächtung und Todschlag in seinen Doktrinen für Homosexuelle übrig hat. Doch gesamtgesellschaftlich schaut es nicht besser aus; Hass gegenüber Homosexuelle wird geradezu zu einer Erfindung von MuslimInnen verklärt. Aber was ist mit all den versuchten Anschlägen von christlichen Milizen auf Homosexuelle und Abtreibungskliniken und evangelikale Zuchtcamps mit dem schönen Motto „Pray the Gay away“ ?
All das ist nichts Neues. Wenn eine Frau vergewaltigt oder erschlagen wird, redet man darüber, wie schwarz, wie muslimisch, wie weiß, wie alt der Täter war. Als ob das den Mord und die sexuelle Gewalt irgendwie schrecklicher machen könnte. Aber irgendwo ist es natürlich verständlich. Der heterosexuelle, weiße Durchschnittsrassist wäre dann auch massiv in der Bredouille. Man muss nur die diversen Social-Media-Kanäle virtuell abklappern, um ein Meer an geheuchelten „Trauerbekundungen“ und hysterischen Kommentaren zu lesen, die meinen, Bombenhagel und Hetzjagden auf Menschen würden Homophobie in seiner Wurzel ausmerzen. Tut mir leid, aber als Homosexueller sträubt sich alles in mir, wenn Reaktionäre einen homophoben Terroranschlag für ihre Agenda missbrauchen. Denn mir als Homosexueller drängt sich eine Frage bei diesem Diskurs auf: Heißt das, ein homohassender Terrorist der sich zum Koran bekennt ist gefährlicher, weil er eine andere Hautfarbe hat und jihadistische Riten zelebriert, als der blondhaarige Neonazi, der mit seiner Schrotflinte die „Homolobby“ und die „Kulturmarxisten“ vernichten will?
Omar Mateen griff angeblich zur Waffe, weil er kurz vor der Tat sah, wie sich zwei Männer küssten. Für ihn unerträglich. Die von ihm verübten Morde stellen einen traurigen Höhepunkt an homophober und islamistischer Gewalt in der westlichen Welt dar. Aber das Patriarchat kennt keine bösen Muslimen und guten Christen. Im Angesicht des Patriarchats sind alle heterosexuellen Männer gleichwertige Unterdrücker. Die westlichen Rassisten missbrauchen die Ermordung dieser 50 Menschen, schon heute werden sie wieder über Conchita Wurst und die Verschwulung der Männerwelt raunen – nur tot, in diesem Fall von einem Islamisten ermordet sind sie ihnen daher nützlich. Wie viele Jugendliche haben sich allein in den USA das Leben genommen, weil ihre weißen High-School „Freunde“ sie mobbten? Wie oft schon haben gut situierte Elternhäuser in spießigen Vorstadtsiedlungen ihre Kinder rausgeschmissen und mit Psychoterror geschädigt, nur weil die Tochter eine Freundin und keinen Freund mit hinreißendem Schwiegersohnlächeln wollte? Das sind berechtigte Fragen, die dem Gesamtübel einer stark heterosexistischen Gesellschaft entspringen, die wie wir gesehen haben solche Gräueltaten hervorbringen kann. Um das aber zu ändern, muss man alles daran setzen, dass die Deutungshoheit um die Thematik nicht von heterosexuellen Rassisten vereinnahmt und verklärt wird.
Autor: Armin Jabbari
Foto und Titelbild: Fibonacci Blue (flickr.com; Lizenz: (CC BY 2.0)