„So wie wir als Linke arbeiten, kann es nicht weitergehen“
Heute Abend startet in Wien die Aktionskonferenz von Aufbruch, ein linker Zusammenschluss, der sich in den letzten Monaten in Österreich gebildet hat. Über 1.000 AktivistInnen aus unterschiedlichen Zusammenhängen werden im Kulturzentrum F23 in Liesing erwartet. UZ-Redakteur Michael Wögerer hat sich im Vorfeld mit Aufbruch-Sprecher Benjamin Opratko getroffen. Eine kürzere Version des Interviews erschien in der Freitagsausgabe der Berliner Tageszeitung junge Welt. Unsere Zeitung bringt die erweiterte Fassung:
„Die Zeit ist reif für einen Aufbruch“, heißt es im gemeinsamen Aufruf von knapp 130 Erstunterzeichner zur Aktionskonferenz an diesem Wochenende. Aber, wohin soll die Reise gehen?
Wir brechen von unterschiedlichen Orten auf und das Ziel ist zunächst aus einer Position herauszukommen, wo alternative Vorschläge für diese Gesellschaft in der Öffentlichkeit eigentlich nicht vorkommen. Wir wollen Alternativen sichtbar machen.
Es entsteht der Eindruck, dass in Österreich zwar immer wieder neue linke Plattformen wie Europa anders, Wien anders, Mosaik & Co. entstehen, aber diese auf gut wienerisch „nix reißen“. Warum soll dies bei Aufbruch anders sein?
Die Initiative unterscheidet sich ganz grundsätzlich von jenen, die genannt wurden. Uns geht es nicht darum ein Bündnis bestehender Organisationen zu sein und wir sind auch kein Projekt, dass sich in Bezug auf Wahlen mehr oder weniger hektisch zusammengezimmert konzentriert, um einen Wahlkampf zu machen und sich nachdem das Wahlziel nicht erreicht wurde genauso schnell wieder zerstreut. Wir haben uns vor über eineinhalb Jahren das erste Mal mit vielen Leuten aus ganz Österreich aus unterschiedlichen Organisationen zusammengetan. Daraus entstand ein Prozess von insgesamt vier Treffen über ein Jahr. Uns wurde bald klar, dass es so wie es ist nicht weitergehen kann. Das bezieht sich sowohl auf die politische Situation in Österreich, aber auch auf unsere eigene Situation als Linke, die vereinzelt durchaus erfolgreich sein kann. Viele Initiativen bleiben jedoch isoliert und schaffen es nicht gesellschaftliche Relevanz zu erlangen. Das bedeutet auch wir müssen es anders machen. So wie wir als Linke arbeiten, kann es nicht weitergehen.
Im Programm der Aufbruch-Konferenz ist ein gemeinsames Plenum vorgesehen, wo u.a. die Frage „Wie geht es uns in der aktuellen politischen Situation?“ diskutiert werden soll. Das klingt ein wenig nach Selbsthilfegruppe…
Nein! Es geht nicht darum uns unsere schlimmsten Weihnachten zu erzählen und danach gehen alle betropetzt (niedergeschlagen, Anm.) wieder nach Hause. Wir wollen nicht individuelle Befindlichkeiten austauschen, sondern Diagnosen. Es gibt in Österreich seit einigen Monaten die Wahrnehmung, es verschiebt sich alles ohne Gegenwehr nach rechts. Der Rechtsruck – die Erfolge der FPÖ, aber auch die Asyl- und Grenzpolitik der Regierung – muss analysiert werden. Dafür braucht es den Raum bei dieser Konferenz, um darauf aufbauend gemeinsam aktiv werden zu können.
In den Reihen von Aufbruch finden sich neben Vertretern diverser linker Organisationen auch zahlreiche ehemalige und (noch) aktive Sozialdemokraten. Kürzlich hat sich die SPÖ mit ihrem neuen Vorsitzenden Christian Kern zumindest personell einen Neustart verpasst. Werden nun wieder einige in den Schoß der Partei zurückkehren? Kommt der linke Aufbruch zu spät?
Wir machen unsere politische Arbeit nicht davon abhängig wer gerade Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei ist. Der überwältigende Teil jener Leute, die mit uns aktiv werden wollen, haben mit der Sozialdemokratie gar nicht soviel am Hut. Es mag sein, dass es jetzt wieder ein paar mehr Leute gibt, die in der SPÖ aktiv sind und Hoffnung schöpfen, dass es mit der neuen Führung auch einen politischen Neustart gibt, aber auch für diese ist Platz in der Initiative Aufbruch. Das widerspricht sich nicht.
Nach der Konferenz beginnt die Aufbruch-Kampagne. „Wir werden an Türen klopfen, den Leuten zuhören. Wir werden auf die Straße gehen und uns gemeinsam Gehör verschaffen. Wir werden Menschen für unsere Ideen gewinnen“, heißt es auf eurer Homepage – doch welche konkreten Ideen sind das?
Die Kampagne soll unter dem Titel stehen „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“. Ein Schnittpunkt vieler Fragen ist die groteske Ungleichverteilung von Vermögen, von Reichtum und damit verbunden von Lebenschancen in Österreich und darüber hinaus. Unser Anliegen ist, sichtbar zu machen, dass positive soziale Reformen nur dann angegangen werden können, wenn wir auch die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums angehen. Wir wollen zeigen, dass wir viele sind, die diese Forderung teilen. Konkreter werden wir das auf der Konferenz in drei Themenbereichen – Arbeit, Wohnen und Gesundheit – diskutieren.
Derzeit ist die Gründung einer Partei nicht geplant, aber es läuft doch irgendwie darauf hinaus. Was hindert euch daran schon jetzt Nägel mit Köpfe zu machen und klar zu sagen, dass ihr eine neue, linke Partei in Österreich gründen wollt?
Es gibt einige in der Initiative, die das wollen, andere können sich das im Moment noch nicht vorstellen. Wir haben uns darauf geeinigt eine Organisierungskampagne zu starten, wo wir Themen in die Öffentlichkeit tragen und erste Strukturen schaffen. Wenn uns das gelingt und wir wissen, dass wir gemeinsam Politik machen können, dann können wir die Frage sinnvoll aufwerfen, ob wir bei Wahlen antreten.
Hinter Aufbruch steht Mosaik – Politik neu zusammensetzen, ein Verein für den laut zentralem Vereinsregister lediglich eine Vorsitzende und deren Stellvertreter vertretungsbefugt ist. Auf der Aufbruch-Konferenz sollen laut Programm auch keinerlei Wahlen für die Initiative stattfinden. Sonderlich demokratisch klingt das nicht…
Die derzeitige Konstruktion ist eine Hilfskonstruktion. Die Dynamik dieses Prozesses hat uns alle überrascht. Wir haben mit 300 Leuten auf der Konferenz gerechnet und haben jetzt über 1.000 Anmeldungen. Es wird auf der Konferenz einen Vorschlag für demokratische Strukturen geben, die lokale Gruppen als wichtigste Basiseinheiten der Kampagne einsetzen sollen und von denen über ein Delegiertenprinzip demokratische Entscheidungsstrukturen geschaffen werden. Uns ist wichtig, dass die Demokratie dort stattfindet, wo Leute aktiv sind und das ist in den Stadtvierteln und Dörfern. Demokratie muss mit Leben gefüllt werden.
In diesem Zusammenhang ist auch das Stichwort „nützliche Linke“ gefallen. Was soll das sein?
Eine nützliche Linke ist jedenfalls keine, die ständig abstrakt kluge Antworten liefert, die keiner versteht und die auch niemanden außerhalb dieser linken subkulturellen Blase interessiert. „Nützliche Linke“ heißt auf Themen zu setzen, die im Alltag und der Lebensrealität der Leute eine Rolle spielen; heißt auch zu lernen und mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen und Fragen vor welchen Herausforderungen sie stehen.
Wie viele von den 1.000 Teilnehmern werden am Wochenende nicht aus der „linken subkulturellen Blase“ kommen? Wieviele „Hackler“ aus Liesing kommen vorbei?
Wir haben die Klassenposition nicht beim Anmeldeformular abgefragt. Bei den bisherigen lokalen Treffen waren natürlich auch viele Studierende dabei, aber es sind die diversesten und pluralsten Treffen mit den meisten sozialen Hintergründen, die ich bisher in der österreichischen Linken erlebt habe. Es ist aber klar, dass so eine Initiative zunächst Leute anspricht, die bereits politisch aktiv waren oder sind. Niemand kommt zu einem Aufbruch-Treffen, der sich noch nie zugetraut hat Politik zu machen. Es ist unsere Aufgabe diese Menschen anzusprechen und deren Bedürfnisse ernst zu nehmen. „Nützliche Linke“ zu sein heißt insofern auch unsere eigene jahrelang eingeübte Praxis zu verändern, neu zu lernen und Sachen auch zu verlernen.
Gerade in der Flüchtlingsfrage kann es dabei durchaus zu Spannungen kommen, wenn man von Tür zu Tür geht. Wie geht man damit um?
Im Moment gibt zwei Positionen zu der Frage. Das eine ist die rechte Position, die sagt wir brauchen Grenzzäune und jene, die sagt „Wir schaffen das!“, was letztlich eine liberale Position ist. Es braucht dazu eine dritte Position, die sagt: „Ja, wir haben eine Verpflichtung Menschen zu helfen, die vor Krieg und Elend fliehen. Wir können uns das als Gesellschaft leisten, aber dafür müssen wir die Vermögensverteilung in Österreich angehen.“ Es ist nicht einzusehen, warum Leute die schon länger in Österreich sind und jene, die frisch nach Österreich kommen gegeneinander ausgespielt werden. Es geht darum, dass wir es uns als eines der reichsten Länder der Welt leisten können, ein gutes Leben für alle zu schaffen, aber dafür müssen wir an den Reichtum ran. Auch deshalb können wir uns die Reichen nicht mehr leisten.
Benjamin Opratko (32) ist Politikwissenschaftler, Redakteur beim Mosaik-Blog und Sprecher der Initiative Aufbruch
Fotos: Reinhard Lang; Aufbruch (fb) ; Titelbild: Tamara Ehs (Twitter)