Fußball in der Zeit des Faschismus
Austrofaschismus und Zweiter Weltkrieg – Teil 3 der 6-teiligen Serie von Noah Krügl
Nach seiner ersten Hochphase im städtischen Proletariat der 20er- und frühen 30er-Jahre welche u.a. in der „Wiener Schule“ gipfelte, erlebte die Blüte des österreichischen Arbeiterfußballs im Austrofaschismus und dem bereits aufkeimenden Nationalsozialismus ein jähes Ende. Nachdem Anfang März 1933 die Eisenbahner in Österreich in Streik traten, und sich der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß in der damit befassten Parlamentssitzung sowie dem anschließenden Erlass des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes an die Macht putschte, wurde bereits im Mai sowohl die KPÖ als auch der republikanische Schutzbund verboten. Als Dollfuß bis 1934 auch die Sozialdemokratie und ihre Vorfeldorganisationen schrittweise durch die Vaterländische Front und der in ihr aufgegangenen Heimwehr entwaffnen und verbieten ließ, brachen, beginnend im Linzer Hotel Schiff, die Februarkämpfe aus. Als Folge der blutigen Niederschlagung des Arbeiteraufstands wurden nun alle demokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen verboten und massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt, worunter auch die Freie Vereinigung der Amateur-Fußballvereine Österreichs (VAFÖ) als Verband großteils sozialdemokratisch geprägter Werksvereine fiel. So wurde die VAFÖ zwar nicht verboten, die Vereine wurden aber in die jene dreiklassige Profiliga des ÖFBs zwangseingegliedert, von welcher man sich 1926 bewusst trennte. Vereine die sich diesen aufgezwungenen Vorgängen widersetzten wurden zwangsenteignet und/oder zwangsumbenannt. Der Arbeiterfußballverband konnte vor diesem Hintergrund zwar noch bis 1936 Spiele organisieren, musste sich dann aber aufgrund immer weitreichenderer Repressionen und der von der Vaterländischen Front forcierten Verunmöglichung des Bewerbs endgültig auflösen.
Einst namhafte Vereine wie beispielsweise SC Gaswerk Wien, SC E-Werk Wien oder SC Red Star Wien, welche noch wenige Jahre zuvor die Gewinnermannschaften der Arbeiterolympiade 1931 und der Arbeitereuropameisterschaft 1933 stellen und tausende Zuseher in den 20er-Jahren binden konnten, versanken aufgrund der politischen Repression und der aufgezwungenen Semiprofessionalität ab 1934 in den Untiefen der österreichischen Liga oder haben diese Entwicklungen schlicht nicht überstanden. Zynischerweise wurde der Professionalismus bereits vier Jahre später durch eine neuerliche politische Machtverschiebung gänzlich verboten.
Nachdem am 13. März 1938 in Linz die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ vom nationalsozialistischen österreichischen Bundeskanzler Seyß-Inquart und dem deutschen Reichskanzler Hitler unterzeichnet und somit der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen wurde, wurde die österreichische Nationalliga unverzüglich in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) eingegliedert und der Professionalismus per 31. Mai 1938 abgeschafft.
Von nun an galt Fußball der Propagandamaschinerie des Deutschen Reichs und zahlreiche Spieler spielten zugleich willfährige Statisten und überzeugte Hauptrollen dieser völkischen Indoktrinierung. Außenpolitisch als diplomatische Flanke der kriegerischen Expansionspolitik wirkend und innenpolitisch als gefällige Selbstinszenierung der gesellschaftlichen Normalität dienend, trat der Sport an sich in den Hinter- und die politische Instrumentalisierung desselben in den Vordergrund. Zwar hatten die Turnverbände, die traditionell aus dem reaktionären und antisemitischen Lager stammten, eine wesentlich bedeutendere Rolle in der Mobilmachung der Massen und der damit einhergehenden volksweiten Leibesertüchtigung für spätere militärische Zwecke, der Fußball bot allerdings als beliebtester Mannschaftssport die Möglichkeit, besser an Kampfgeist, Einsatzwille und Teamgeist zu appellieren. Während die Turnverbände die Massen also physisch auf den Krieg vorbereiteten, wirkte der Fußball mehr als psychologische Stütze der nationalsozialistischen Ideologie des „Herrenmenschen“.
Hierfür wurden ab 1933 im Deutschen Reich und ab 1938 dann auch in Österreich die Klubs „arisiert“. So wurden die letzten noch im Fußball aktiven Kommunisten und Republikaner aus den Vereinen vertrieben, noch bevor die „Entjudifizierung“ vonstatten ging. Zahlreiche jüdische Funktionäre und Spieler wurden aus ihren Ämtern enthoben oder deportiert, wie auch viele jüdische Spieler in weiser Voraussicht ihre fußballerische Heimat verließen, um so der Verfolgung von Gestapo und NSDAP zu entgehen.
Die Vereine selbst waren großteils willfährige Erfüllungsgehilfen des Regimes, da viele so die Gunst der Nationalsozialisten erhofften oder Spieler und Funktionäre selbst entweder überzeugte Nazis waren oder durch ihre opportunistische Gleichgültigkeit vom Regime bevorteilt wurden. So wurden beispielsweise zahlreiche Spieler von Rapid in Ämter der Stadt Wien gehievt um so einerseits den Scheinamateurismus voranzutreiben und andererseits den Wohlwollen der Spieler zu erlangen. Beim traditionellen „Judenclub“ Austria wurden zwar der Vorstand und viele Spieler vertrieben und/oder enteignet, den Topstars der Veilchen Matthias Sindelar und Karl Sesta hingegen, welche beim „Anschlussspiel“ am 3. April 1938 noch jeweils ein Tor zum 2:0-Sieg Deutsch-Österreichs über das Deutsche Reich erzielten, wurden in weiterer Folge „arisierte“ Geschäfte zugesprochen. Die Vienna wiederum wurde ab 1942 zur dominierenden Mannschaft Wiens und auch der Sportklub strich sofort nach dem „Anschluss“ seine deutschnationalen Wurzeln hervor. Die zahlreichen widerständigen und antifaschistischen Strukturen jener Amateurvereine, welche aus der VAFÖ hervorgingen, waren zu diesem Zeitpunkt bereits längst zerschlagen.
Als mit Fortdauer des Krieges immer mehr „menschliches Material“ an der Front benötigt wurde, wurden auch verstärkt Spieler der Vereine eingezogen, welche vorher als unantastbar galten, was sich auf Leistung und Moral auswirkte. Der Widerspruch zwischen notwendiger Propagandainszenierung zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Scheins der Normalität und der Mobilmachung der letzten wehrtauglichen Männern, welche in den späteren Kriegsjahren fast nurmehr in Fußballvereinen zu finden waren, führte letztlich dazu, den Ligabetrieb notdürftigst weiterzuführen bis mit dem Vorrücken der Alliierten an der Westfront und der Sowjetunion im Osten die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus besiegelt wurde und die Liga im März 1945 abgebrochen werden musste.
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs formten sich die Vereine wieder umgehend zusammen, bis bereits am 1. September 1945 die erste Runde der neu geschaffenen Liga stattfand. Fußball entwickelte sich wieder zu dem Massenphänomen, das er immer war – als relativ kostengünstige Abwechslung vom tristen Alltag der Nachkriegszeit.
Noah Krügl ist politischer Aktivist, jahrelanger Fußballfan und Gründungsmitglied einer linken Ultragruppierung in Österreich.
Fotos: Fußball der Olympischen Sommerspiele 1936 (Christos Vittoratos; Lizenz: CC BY-SA 3.0), Titelbild: Siegerehrung bei den Olympischen Sommerspielen 1936 (Bundesarchiv, Bild 183-G00825 / Stempka / CC-BY-SA 3.0)
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