DAZIBAO VI: Trotzkis Schrank
Die linke Szene in Wien ist eine kuschelige Ecke.
Man kennt sich untereinander, grüßt sich, tauscht Neuigkeiten aus.
Manche Nachbarn sind nicht zum Aushalten. Da in Österreich Subkulturen, egal welcher Art, in Nischen meist unterhalb der Wahrnehmung verschwinden, existiert die Linke auch als Mikrokosmos in so einer. In dieser Subkultur gibt es eine Ecke, die den Namen Amerlinghaus trägt.
Ein alternatives Kulturzentrum, das von Außen als wie ein Biedermeierhaus verkleidet wirkt. Weil es möglicherweise auch eines ist.
Vereine nutzen es als Ankerplatz. Wie das Flüchtlingsprojekt Ute Bock, dann auch noch ein sehr sehr alternativer Seniorenverein, diverse Kulturorganisationen. Solche Zentren sind wichtig für das Überleben mancher solcher Organisationen. Weil sie im „normalen“ Mainstream nicht überleben könnten. Was auch bedeutet, das auch direkt politische Gruppen ihre Treffs in solchen Zentren abhalten.
Die Schrank-Saga.
Ein Freund erzählte mir folgende Geschichte. Ab hier hört auch der betonharte Boden journalistischer Faktentreue auf, denn diese Geschichte ist einfach nur eine Geschichte. Ob Sie der Wahrheit entspricht, weiß ich nicht. Aber sie birgt ein Gleichnis in sich.
Mein Freund erzählte mir über einige trotzkistische Organisationen, die sich im Amerlinghaus einen Schrank teilen würden. Utensilien wie Fahnen, Flyer und dergleichen wurden in ihm verstaut.
Jede Gruppe hatte ein Fach. Und jede Organisation war selbstständig.
Obwohl Sie alle Trotzkisten waren. Jede Broschüren von Trotzki verschickten, Diskussionsrunden über Trotzki abhielten. Oder sich einfach nur auf Trotzki stützten.
Die Judäische Volksfront und Volksfront von Judäa
Der Trotzkismus ist eine politische Abzweigung des Marxismus, die sich auf den Politiker Leo Davidowitsch Bronstein beruft. Der Name Trotzki, war das Andenken das er von einer Flucht mitnahm. Zuerst als Deckname gedacht, avancierte der Name zu dem Titel eines (revolutionären) Labels. Ähnlich ging es auch anderen Führern der Bolschewiki. So wurde aus Uljanow Lenin, aus Dschugaschwilii, Stalin. Die Betitlung als Trotzkismus war nicht freiwillig. Als Stalin anfing an Trotzkis Stuhl zu sägen, wurde der Begriff als Diffamierung in der sowjetischen Publizistik eingeführt, um sogenannte Verräter zu benennen. Eben Leute die für Trotzki einstanden und somit gegen das System agitierten. Zumindest aus dem Blick der Machtgier Stalins. Es gab noch andere Schlagworte unter denen Menschen etikettiert wurden, wie Sozialrevolutionäre und Kulaken etc. Interessanterweise behielten die Nachfahren der Schule Trotzkis diese Bezeichnung bei, obwohl es eine Diffamierung war.
Dass die Linke gerne Kleinkriege untereinander führt, ist keine Neuigkeit. Die Stellungen, die von heutigen Menschen eingenommen werden, ziehen meist dieselben Linien auf der Karte, wie zu Zeiten Trotzkis. Marxisten-Leninisten fetzen sich mit Trotzkis, beide hassen Anarchisten. Und alle drei bilden eine Mittelfinger-Phalanx gegen die Sozialdemokratie.
Dasselbe Naturgesetz gilt aber auch für den Trotzkismus an sich. Die unterschiedlichen Standpunkte führten dazu, dass sich fast achtzig Jahre nach Trotzkis Tod, ständig neue Organisationen gründeten. Jeder interpretierte ihn anders und hatte eine andere politische Strategie. So wurden, unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, immer neue Internationalen aus dem Boden gestampft, die die vorgehenden ablehnten. Die Unterschiede, die in Broschüren und auf Websites kommuniziert werden, sind Legion und würden den schon abgedroschenen Rahmen hier sprengen.
Es ist doch so ein wenig wie in der Kirche, wo früher über die Dreifaltigkeit oder die Frage gestritten wurde, wem die Kleider Jesu wirklich gehört hatten. Da ist es gar nicht mal ein so weiter Weg sich einen Schrank mit unterschiedlichen Fächern zu besorgen.
Fotos: Amerlinghaus (Georges Jansoone; Lizenz: CC BY-SA 3.0); Titelbild: Kindergruppe Amerlinghaus (Cha già José; Lizenz: CC BY-SA 2.0)
DAZIBAO – „Satirische Propaganda“ von Max Sternbauer: